Böse Frauen

Sister Stormy

Ein Hürdenlauf mit 12 Zaunelementen

Ich beginne bei Z : Z wie Zumutung.

Dear Sista Stormy,

Du bist eine absolute Zumutung für mich. Du bist eine Zumutung für das ganze weibliche Geschlecht. Weil ich mich hier in den Grenzen meines Geschlechtes und seinen Zumutungen bewege und auch Dein Wohnzimmer, Schlafzimmer, Lebensraum ist, spreche ich Dich folgendermaszen an: Schwester Stormy, Dear. Die erste Hürde über die 12 Zäune ist nicht aus Blattwerk oder sonstwie pflanzlich-materiell, es ist ein groszer Sturm oder ein kleiner Tornado, schwer vorstellbar, dasz deutsche Eltern ihrem Mädchen einen Namen geben, der nach Wind und Unwetter und Zerstörung klingt. Und Stormys Eltern in den USA, in Baton Rouge, Louisiana 1979 taten das auch nicht. Du, liebe Stormy tatest das selbst. Es ist ein Name, den früher eher Jungens als Mädchen bekamen.

Das erste Zaunelement ist also ein Wind, wir gehen durch einen Container, vorne und hinten offen, wir schaffen es gerade noch so durch, mit zerzausten Haaren und fest an den Körper gepresstem Gepäck. Es kommt uns vor, als ändere der Wind die Richtung, als tanze er um uns herum, als habe er es auf uns abgesehen. Irgendwo an der Blechwand steht auch, dasz der Wind mindestens eine Geschwindigkeit von 74 Stundenkilometern hat, wodurch er sich den Namen STURM verdient.

Windstärke 9, falls das was sagt, es steht auch irgendwo geschrieben, daneben ein Bild von kleinen Hausschäden, einzelne Dachpfanne fehlen, von Wellenbergen mit langen überbrechenden Kämmen und stiebenden Gischtflocken. Das Winderereignis ist also keine warmes Warenhaus-Eintritts-Luftgebläse. Und doch geht es um nichts anderes als Warenwelt, nur dasz die Fleischerne Ware noch lebt, ja, dasz sie selbst auf die Theke legt. Wer mag, geht mehrfach durch den Windkanal. Es ist wie mit einem Flusz, in den niemand mehrfach steigen kann, weil der Flusz nicht der Flusz ist oder bleibt: Das Wind-ereignis ändert sich und uns gleich mit. Im letzten Kapitel ihres Buchs „In aller Offenheit“ (im Original: „Full disclosure“, erschienen 2018) schreibt Stormy:

„Ich fühlte mich schon eine ganze Weile wie in einem Wirbelsturm. Ich wurde in diesem ganzen Mist nur noch herum-geschleudert, schutzlose Beute jeder neuen Blitzmeldung jedes neuen Kommentars, Aufregers oder juristischen Schachzugs.“ (S. 316)

Aber warum sich ihm aussetzen, freiwillig?

Die Zumutung bist Du, Stormy. Mit Deinen riesigen Silikonbrüsten, Du nennst sie anders, nicht Brüste. Mit Deinem Outfit, dasz die dicken Kugeln ins Schaufenster legt, ach, und da soll man nicht zugreifen? Na, soll mann doch, musz mann doch. Klar hast Du blond gefärbte lange Haare. Bestimmt hast Du allerhand machen lassen an Deinem Körper-Kapital. In Deiner Branche, dem Porno-Film, ist das üblich und dadurch wohl notwendig.

Ich gebe zu: mir kommen nicht blosz aversive oder ambivalente, sondern auch unkeusche Gedanken, wenn ich mir Deinen hypersexualisierten Körper drei-dimensional denke, an welchen verhüllten Stellen hast Du noch Chirurgen oder Chirurginnen herum-schneiden lassen an Deinem Körper, um ihn Markt-gerechter zu machen? Graute es Dir gar nicht, mit einem der schlimmsten Lügner und Groszmaul Sex zu haben? Ja, leider war es das, was Dich weltweit bekannt machte. Es könnte natürlich sein, dasz dieser Wicht und Wichtigtuer nur eine 8 oder 9 auf der nach oben offenen Abscheulichkeits-Skala erreicht. Und das ist auch, Schwester Stormy: ich habe Abscheu und Mitleid, un-nenn- und un-trennbar miteinander vermengt.

Deine aufgepumpten Brüste finde ich widerlich. Kannst Du eigentlich darauf liegen? Musz irgendwann nachoperiert werden? Hast Du Rückenschmerzen? Ich weisz, dasz ich das nur rhetorisch, nicht wirklich fragen kann. Weil es Deine Intimsphäre verletzt. Ich buchstabiere: Deine Intimsphäre. Obwohl Du notgedrungen eine ganz andere Definition davon hast, haben muszt. Irgendwo in Deinem verhunzten und vernutzten Körper muszt Du ja einen Safe-Space haben, einen Rückzugsort, einen Ort, wo Du mit Dir allein bist und Dich mit Liebe anschauen kannst.

Wenn man zu lange in diesem starken Luft-Gebläse steht, wirbeln auch die Werte durcheinander. So wir an denen festhalten wollen, es sind doch gute feministische Werte, können wir uns an paar Fakten festhalten. Stormys Figur eine Karikatur? Warum nur?

Mit 17 Jahren, noch zur High School Zeit, besuchte sie mit Freundinnen und Freunden einen Strip-Club in Baton Rouge, eine der Tänzerinnen hatte die Peer Group eingeladen. Stormy, die sich den Vornamen bereits zugelegt hatte, da sie ihren Taufnamen als unpassend empfand, wird von den dort arbeitenden Frauen herzlich empfangen – Aufnahmeritual ist das Kleider-Ausleihen und das Schminken, insbesondere das schmerzhafte Zupfen der Augenbrauen. Stormy liebt das Tanzen. Der erste Auftritt der 17jährigen bringt die Entscheidung: sie verdient in 9 Minuten 85 Dollar. Sie musz schlieszlich für sich selber sorgen, ein schützendes bürgerliches Elternhaus gibt es nicht.

Diese Arbeit wird sie in den nächsten Jahren perfektionieren – können wir es professionalisieren nennen? Wir kommen noch darauf zurück. Es gibt Nächte, in denen sie über 300 Dollar verdient – das dann allerdings mit ihren vergröszerten, wie es in der dt. Übersetzung heiszt, Möpsen. Sie hat sie lieb und nennt sie Blitz und Donner. Die Operation kostete damals 2.200 Dollar, Stormy erwähnt auch die Summe, die sie heute dafür bezahlen müszte. Es ist eine geschäftliche Investition, Kolleginnen mit mehr Oberweite bekommen deutlich mehr Geld zugesteckt.

Es sind für eine junge Frau aus prekären Verhältnissen ohne teure Privat-College-Abschlusz enormen Summen. Dasz die „Möpse“ nun allerdings so grosz wurden, hatte sie weder gewollt, noch war es mit dem Arzt Dr. Gruenwald so besprochen. Erst nach dem Zurückgehen der Schwellung sieht Stormy, dasz sie nicht die gewünschte BH-Grösze 80 E, sondern 80 G braucht. Sie stellt Gruenwald wütend zur Rede. Der hat viel gröszere Implantate eingesetzt als besprochen. Achsel-zuckend antwortete der Arzt: „Ich habe sie aufgefüllt, bis sie mir gefielen.“ Es löst auch im Sturmbad ein Achselzucken bei uns aus.

Eine weitere kluge Entscheidung Stormys ist, komplett auf Alkohol zu verzichten. Sie darf sich von den Wodka zahlenden Männern nicht beim Sprite-Trinken erwischen lassen. Hier, am Ausgang des Sturm-Containers, musz ich mir meine Frage gefallen lassen, wie ich überhaupt annehmen konnte, Striptease-Tänzerinnen und Porno-Darstellerinnen seien dumm. Nach allem, was Stormy berichtet, sitzen die Dummen mehrheitlich unten vor der Bühne. Ordnen wir unsere Kleider und Haare – es geht schlieszlich weiter!

S wie SELBSTERNANNT

Wieviel Vitalität, wieviel Strahlkraft, wieviel Wucht hat die Vorstellung: HEXE. Die vielleicht vielfältigste Frauenrolle auf der Patriarchatsbühne. Auch die Furchtbarste, die Furcht-erregendste und Schrecken-verbreitendste. Wenn wir uns befassen mit der Zeit des groszen Femizids der Hexenverfolgung, waren die Tatsachen klar. Die Hürde, die wir überspringen müssen, ist eine für uns unge-fährliche Scheiterhaufen-Installation. Wir haben die aus einem aufgegebenem Gasthaus an der B 72 herausgeschnitten. Sie lodert und verbreitet weder Zauber noch Schaden. Zurück also in die Zeit der Verfolgung. Da war es so: Nur die Jäger waren die Wissenden. Nur sie wuszten, wer eine Hexe ist. Und der zählten sie dann Taten und Aktivitäten auf. Woraufhin diese dieses gestanden: es gab Massentreffen von Hexen, Teufelsanbetung und Sexorgien mit Teufeln, Grabräuberei, Säuglingsmord, Verwandlung von Menschen in Tiere, Flüge, Kannibalismus und das Opfern von Kindern für kosmetische Zwecke, Unwetter-Erzeugung und Unfruchtbarkeits-Zauber.

Ganz ohne Arg und ohne Qual übersteigen wir das Dekor-Element. Ein kurioser Wandel hat sich vollzogen. Das Label HEXE wird als Diffamierung oder von einfluszreichen Männern als Selbst-Viktimisierung benutzt. Und immer öfter wird das Adjektiv „selbsternannt“ vorangestellt. Sollen sie sich doch in Sicherheit wähnen, die Frauen mit magischen Praktiken und Begabungen, die mit und ohne Honorar in den modernen Netzwerken ihre Dienste anbieten. Die Auskunft geben, dasz Hexen sich zur Natur hingezogen fühlen. Die übrigens für Putin oder auch gegen Trump Zauber anwenden und Flüche ausstoszen, die aber auch uns allen, die wir magisch minderbegabt sind, spirituelle Optimierung anbieten können. Interessiert wohnte ich zumindest virtuell einem Selbstliebensritual für Frauen bei, auf dem ordentlich Flammen loderten und Trancezustände gegeben wurden. Unbedingt brauchen wir mehr davon. Mehr Selbst-wirksamkeiten, mehr Selbstermächtigungen und Bewusztsein und Ernennungen.

Hexe, selbsternannt. Es braucht offenbar diesen doch eigentlich selbst-verständlichen Zusatz, da kein Inquisitor und keine Handwerkskammer die entsprechenden Zertifikate ausstellt, die zum Tode führen oder eben zum Titel-Tragen berechtigen. Nach der Veröffentlichung ihres Buches, in dem sie ihr Leben bis zu den ersten Prozessen um das „Non Disclosure Agreement“, das Schweigegebot über das Sex-Ereignis mit Trump mit dessem windigen Anwalt Michael Cohen erzählt, nachdem ihre Ehe an den Belastungen und Bedrohungen zerbrochen ist, wendet sich Stormy offenbar höher-gültigen Wahrheiten und Mächten zu. Es ist konsequent, ist Stormys Hauptfocus doch durchgängig Wahrheit und Lüge. Gefolgt von in Dollar-Summen meszbarem wirtschaftlichen Erfolg.

2021 schreibt Stormy bei Facebook, dasz sie der Hexerei beschuldigt werde wegen ihrer Sexarbeit, ihrer Tätigkeit als Tarot-Wahrsagerin, Geister-Jägerin und Medium. Laut Marion Gibson, der britischen Literaturprofessorin, der ich meine Aufmerksamkeit für Stormy Daniels verdanke, ist das das erste Mal, dasz sie sich stolz als HEXE bezeichnete und Hexerei eine „religiöse Überzeugung“ nennt. Offenbar hat sie nach 2018 ihr Portfolio erweitert. Oder sie hielt die Magie-Arbeit vorher nicht für erwähnenswert. (Marion Gibson, Hexen – Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute, Berlin 2024, S. 435) Dasz sie an einer TV-Show zur Untersuchung paranormaler Phänomene teilgenommen habe, bedeutete für Trumps Anwälte dasz „ihre Wahrhaftigkeit, ihr Geisteszustand und ihre Fähigkeiten, verläszlich auszusagen, ernsthaft in Frage gestellt“ werden müssen. (Gibson, S. 443) Hexen sind gaga. Die Argumentation verfing übrigens nicht vor Gericht. Zum Glück ging es in diesen Prozessen nur um Dollars. Launig twitterte Stormy im Juni 2021: „Wie kleidet man sich in einem Hexenprozess?“ (Gibson, S. 444) Verläszlich nennt sie Einkünfte aus ihren neuen Geschäftsfeldern. Sie schätzt, im Laufe des Jahres 2022 über 300 Tarot-Lesungen gegeben zu haben, welche jeweils bis zu 150 Dollar kosteten. Das ist weit weniger, als sie im Sex-Business einnahm.

H wie Hexe und wie Hagazussa.

H auch wie Hoffnung.

Als nächstes kommt der Doppel-Oxer. Der verlangt uns einen Hoch-Weitsprung ab. Hexe und Hagazussa die erste Barriere, dahinter der dünnere Stab namens Hoffnung.

Ein HAG ist ein von einer Hecke eingehegtes Gelände. Eingehegt, da haben wir es schon wieder. HAG bezeichnete auch die Hecke selbst. Und Kaffee HAG, HAG in Groszbuchstaben schont seit fast 120 Jahre unsere Nerven. Einhegen, Hegen, Pflegen. Auch die Behaglichkeit lebt von einer Hecke drum herum. Ein lebender Zaun. Eine gute Hecke ist zum Beispiel aus Weiszdorn oder Eibe. In Deutschland gibt es viele Ortsnamen, in denen der Hag und Hagen weiter wächst. Auch der Hain, der kleine Wald, ein gehegtes Utopie, kommt vom Hag her. Und der Personen-Name Hagen. Denken Sie an Nina, die ihr zweites Album „Unbehagen“ nennen muszte.

Germanisch hiesz die grüne Grenze Haga oder Hagaz. Später mag ein Holz-Zaun aus dem Hecken-Gebüsch geworden sein. Wir können die Hecke überspringen oder auf ihr aufsitzen, auf ihr reiten – dann sind wir Hagazussa oder Hagetisse. Der plausibelsten Erklärung zufolge wurde aus Hagazussa Hexe.

Neben der Plausibilität und der Poesie spricht eine tiefe Wahrheit für die Hexe als Zaunreiterin, als eine üble Grenzüberschreiterin, eine Ignorantin von Tod und Leben, von Mein und Dein und Mann und Weib. Möglich, dasz aus dem Reisigwesen Hecke oder dem Zaun aus Pfählen sich der Besen entwickelte, der der Hexe hinzugesellt wurde. Steigt sie auf den Besen und schwingt sich in Höhen und Schwindel, so mag es an den bunten Pilzen gelegen haben, die reichlich im Hag sprieszen und zum Genusz einladen. Aus dem behaglichen Hag also erwuchs ein Schrecken, ein Verbrechen und das kommt uns sehr vertraut vor.

Doch halt: kein victim blaming. Sie, die Hexen waren es ja gar nicht, schrecklich. Stormy Daniels wird für viele Amerikanerinnen zu einer Hoffnungsträgerin. Fans wollen sich mit ihr fotografieren, sie lieben die Angegriffene, die sich nicht unterkriegen läszt, die Frau, die nahbar ist und zugleich besser. „… vor allem Frauen nutzen die paar Minuten, um mir von ihrem Leben zu erzählen und wie sehr sie sich mit mir identifizieren. … sie finden, ich muss die Welt retten.“ (Daniels, S. 318)

In deutlicher Bezugnahme auf die präsidentielle Übergriffsbeschreibung spricht sie 2023 „The Pussy grabbed back“ – die „Pussy schlägt zurück“. Hinter der Hecke also der Stecken der Hoffnung, vielleicht können wir uns da noch einmal abstützen, jedenfalls ist die Überwindung ein Leichtes und wir kommen voran in der Geschichte.

B wie Beleidigung und Bedrohung.

Wer ist das eigentlich? Eine Bedrohung? Bedroht aber wurde Stormy. Hier müszte das Hindernis aus Waffen-Werbung bestehen. Pappaufsteller, Screens mit Werbeclips, Inserate. Papier, Pappe, etwas Elektronik, hübsch collagiert. Und wie Blumen, auch gefaltet oder gerollt, stecken Geldscheine in dem Verhau. Das Ganze ist nicht unüberwindbar. Wir schwächen das in diesem Zusammenhang etwas ab, damit wir es überleben. Jeden Tag erschieszen in den USA Menschen etwa 50 andere Menschen. Und etwas mehr als 50 erschieszen sich selbst. US-AmerikanerInnen kaufen jährlich 20 Millionen Waffen.

Nehmen wir mal Anlauf. Was passiert vor dem Mord und vor der Ankündigung desselben? Es ist unumgänglich, das Gegenüber herabzusetzten, ihr und ihm gege-benenfalls das Menschsein abzusprechen. Die Ausweisung bzw. Deportation der Gruppe FRAU ist nicht im Interesse der Verfolger, damit haben wir es im Falle von Frauenhasz nicht zu tun. An den Pranger, der in Holzzeiten ein realer, ein Pfahl war, wurden Frauen gezwungen, die des Ehebruchs verdächtigt wurden. Fürs Anprangern gibt es längst die sog. Sozialen Medien. Neu: Die Ankläger arbeiten ehrenamtlich und im Homeoffice.

Twitter, heute X, ist so ein Ort der Bedrohung und der Beschimpfung – ein „Scott“ äuszert: „Dumme Schlampen kommen ziemlich sicher in die Hölle.“ Stormy erwidert: „Gut, dasz ich eine schlaue bin.“ Eine Stephanie schaltet sich ein: „Eine sehr schlaue sogar. Ich wünschte, jede Frau hätte Dein Selbstvertrauen und die Fähigkeit, solche armseligen Beleidigungen nicht persönlich zu nehmen. Ob man Pornodar-stellerin ist, Lehrerin oder was auch immer, als Frau wird man irgendwann sowieso als Hure bezeichnet. Wir dürfen diese armseligen Beleidigung nicht an uns heranlassen.“ (Daniels, S. 296f)

2024 wurde die demokratische Präsidentschaftskandidatin Harris immer wieder als Hure beschimpft. Ihre Amtsvorgängerin Clinton war für Trump eine Hexe.

Aber was war denn eigentlich vorgefallen im Fall Stormy Daniels vs. Trump?

Die erste Bedrohung fand in der realen Welt statt. Schauplatz: der Parkplatz vor einem Sport- und Gesundheitszentrum für werdende und reale Mütter. Stormy will dort trainieren, weil sie während der Schwangerschaft mit ihrer Tochter stark zugenommen hat. Sie begegnet dort einem jungen teuer gekleideten Mann, den sie „echt heiß“ findet. Seine Ansprache ist folgende: „Was für ein hübsches Mädchen Sie da haben“, sagte er, beugte sich vor und sah meiner Kleinen direkt ins Gesicht. Ich wollte gerade antworten: „Sehr nett, danke. Welches Gebäude suchen Sie denn?“, um mich als zuvorkommend zu erweisen. Aber er redete einfach weiter. „Wäre doch schade, wenn ihrer Mutter etwas zustoßen würde“, sagte er und sah immr noch das Baby an. „Vergessen Sie die Geschichte. Lassen Sie Mr Trump zufrieden.“ (Daniels, S. 246)

Die Klatschpresse verlor zeitgleich das Interesse an der Enthüllungsstory. Da Stormy nicht wollte, dasz jemand anders Geld mit der Geschichte macht, hatte sie 15.000 Dollar gefordert. Sie liesz es dann auf sich beruhen. Sie zeigte den Vorfall auch nicht an. Doch als sich abzeichnet, dasz Trump Präsidentschaftskandidat wird, drängen Freunde sie, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es sei zu ihrem Schutz. Andere Frauen berichteten von Trumps sexuellen Übergriffen auf sie. Trump läszt über seine Wahlkampfmanager alles abstreiten. Ein Promi-Anwalt aus Beverly Hills unterbreitet ihr ein „Non Disclosure Agreement“, eine Verschwiegenheitserklärung. Für ihr Schweigen soll Trumps Anwalt Cohen ihr 130.000 Dollar zahlen. Sie fühlt sich in Sicherheit. Bedauert, nicht mehr gefordert zu haben. Sie bekommt das Geld zunächst nicht, erst kurz vor der Wahl und es geht nicht auf ihr Konto. Andere hübsche junge Frauen sprechen über ihre Affairen die sie mit Trump hatten, als der gerade Vater geworden war. Stormy kommentiert: „Willkommen, in diesem Scheiszclub, Schwester. Ihre Beschreibungen der „Dates“ gleichen meinen Erfahrungen aufs Haar …. Nur dasz das arme Ding mehrmals Sex mit ihm hatte.“ (Daniels, S. 262) Wir könnten uns kurz wundern, weshalb es Trump nicht schadete im Wahlkampf. Dazu das Kapitel M wie Misogynie und Macht und Männlichkeit.

Im Januar 2017, einige Tage vor Trumps Amtseinführung, enthüllen zwei Wallstreet-Journalisten: „Trump-Anwalt erkauft für 130.000 Dollar Schweigen von Pornostar“. Folgen für Stormy: sie wird Paparazzi-Opfer, sie zieht sich komplett zurück und engagiert Personenschützer. Geplaudert hatte Anwalt Cohen, ein klassischer Ausputzer. Seine Agenda: sich als treuen Ritter des frisch ernannten Präsidenten darzustellen. Was nicht klappen kann, da sein Idol illoyal ist. Stormys Anwalt klagt dann gegen Trump. Die Gegenseite will von ihr 20 Millionen. Nur noch um langweilige Dollars scheint es zu gehen. Ihr damaliger Anwalt, den sie als sehr attraktiv beschreibt, sitzt inzwischen im Gefängnis wegen mehrfacher Unterschlagung von Mandanten-Geldern. Und Anwalt Cohen sasz ebenfalls in Haft, konnte die Zeit aber wg. der Corona-Pandemie teilweise zu Hause absitzen. Achja: Er ist kein Trump-Kumpel mehr.

Fazit eins: ein neues Business folgt einem alten Sprichwort: Schweigen wird vergoldet.
Fazit zwei: Sexualität ist für Frauen ein Minus-Geschäft.

I wie Irrgarten

Die nächste Hürde ist sehr kunstvoll aus Spiegeln gefertigt worden, die in einem reisenden Spiegelkabinett auf Jahrmärkten und Volksfesten das Publikum lockte und lustvoll verwirrte. Wir überwinden auch dieses Zaunelement, immer im Bewusztsein, dasz dies Labyrinth uns unablässig täuscht, die Dinge ständig in ihr Gegenteil kippen. Es beginnt damit, dasz aus links rechts wird auf dem Spiegel. Die Verzerrung folgt auf dem Fusze. Und dann befinden wir uns plötzlich auf einem ganz anderen Spielfeld.

Auch wenn wir es gewöhnt sind, dasz Leute sich in Debatten arm rechnen, dasz sich privilegierte Normalos zu verfolgten Minderheiten stilisieren und dasz schamlos ins Historische Vergleichstöpfchen gegriffen wird. Auch wenn. Dann ist das doch. Dann ist das doch schräg bis unheimlich. Ein Milliardär und einer der mächtigsten Männer der Welt, der derzeitige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bezeichnet sich hartnäckig und wiederholt als Opfer einer Hexenjagd (vgl. J wie H-Jagd). Meint er, dasz Stormy Daniels, die selbsternannte Hexe/ Witch ihn in den Tod treibt oder ihm Schaden antut? Er hat sie aber doch durch sein Gefolge mit dem Tod bedrohen lassen? Oder fürchtet er sie noch mehr? Oder ist er selbst die Hexe, unschuldig, die von einer Meute zur Strecke und zum Schaffott gehetzt wird? Vergleicht sich da einer mit den Machtlosesten der Machtlosen, Frauen am Rande der Gesellschaft? Und ignoriert er auch, dasz es in den heutigen Prozessen vor Gerichten in Rechtsstaaten auf der Grundlage von Beweisen geurteilt wird, wiederum konträr zu den historischen Hexenprozessen, in denen eine Anzeige, eine Denunziation ausreichte.

Die Hexenprozesse von Salem, Pensylvania im Jahr 1692 sind Kern des amerikanischen Hexentraumas, besser, der amerikanischen nationalen Erinnerung, die nicht arm ist an Traumata. 200 Menschen wurden beschuldigt, 19 wurden hingerichtet. 13 von ihnen waren Frauen. Vielleicht vergleicht sich der Präsident mit Sarah Good, einer Bettlerin, Tochter eines französischen Gastwirts, von der gesagt wurde, sie führe Selbstgespräche? Sarahs Tochter Dorothy war die jüngste Verfolgte der Salemer Hexenjagd, sie wurde mit vier oder fünf Jahren beschuldigt, Dorfbewohner gebissen zu haben – dahinter konnte niemand anders als der Teufel stecken. Das kleine Mädchen bestätigte das. Sie wurde aus dem Gefängnis freigekauft. Wir kennen ihr weiteres Schicksal nicht. Die Mutter Sarah Good wurde 1692 gehängt.

Umkehrung Nummer zwei: HEXE bezeichnete einst die Häretikerin, eine Feindin Gottes. Jetzt ist daraus eine eigene religiöse Einstellung geworden, eine in den USA anerkannte Glaubensgemeinschaft. Vgl. W wie Wicca. Aus den alten Ängsten der Verfolger vor der ungezügelten Sexualität der Frauen sind, verkleinert und akzeptabilisiert, für Frauen in vielen Ländern reale Freiheiten geworden.

Bislang meines Erachtens nicht umgesetzt ist die Vision, die der Hexenjäger Kramer im 7. Kapitel des 2. Teils seines „Hexenhammers“ als Tatsache beschrieb: Penis-raubende Hexen, die diese, lebendigen Würmer gleich, an geheimen Orten horten.

J wie Hexen-Jagd

Wie ist die Hürde? Vielleicht ist da ganz einfach ein kleiner Erdwall, ein Deich in Miniaturformat, wir nehmen den fast schlendernd. Es bewegt uns aber innerlich eine schwere Frage.

Wie geht sie los, die Jagd? Was ist vor der Verfolgung, die oft regelhaft erfolgt, bei deren Ablauf leicht aus dem Blick geraten kann, dasz es keinen Automatismus bei Kapitalverbrechen gibt. Schauen wir zunächst auf Stormys Story. Wir finden keinen Hexenprozesz, wie er uns unheimlich vertraut ist aus vor-industriellen Jahrhunderten. Was wir da herausklauben können, sind Motive der Hexenjagd. Der Miszbrauch des Phänomens: ein Präsident eines mächtigen Landes sich mit einer bedrohten und verfolgten Frau vergleicht. Wir haben eine Frau, Stormy, die zwar von der Vermarktung ihres Körpers bzw. der Inszenierung von Sexualakten gut leben kann, aber von der Mehrheitsgesellschaft verachtet wird. Die Bewertungen im Sexualverhalten von Männern und Frauen sind ungleich. Rubrik Doppelmoral. Ein Verstosz gegen herrschende Moralbegriffe, Ehebruch, sollte dem Präsident-schaftskandidaten eines von konservativ-christlichen Werten beherrschten Landes vorgeworfen werden. Es konnte ihn letztlich nicht schwächen. Am Anfang standen Medien bzw. einzelnen Journalisten, die aus dieser Privatheit Öffentlichkeit gegen den Kandidaten und Publicity – und vor allem Dollars für sich machen wollten. Sind sie Denunzianten? Wie sollen sie genannt werden? Die unverheiratete Sexpartnerin des verheirateten späteren Präsidenten muszte scheinbar abgewertet werden. Mehrere Motive wie Sexuelle und Finanzielle Hemmungslosigkeit bieten sich hier an. Doch über allem steht das gröszte Minuszeichen FRAU.

Wie nun begannen die historischen Hexenverfolgungen?

Punkt eins: der Verdacht. Der Startschusz aller Massen-Verfolgungen: Aus dem Verdacht wird die Denunziation

Recht bald wird es unübersichtlich: die Jäger sind in Verfahren zugleich die Richter. Aus den Anklägern können rasch Angeklagte werden. In der Jagdgesellschaft existieren verschiedene Mord- oder mindestens Ausschaffungs-Motive. Und letztlich führt die Denunziation nicht zum Ziel. Das Wild, also die deviante Person, hier: eine Frau mit abweichendem Lebenswandel, kann beseitigt werden, nicht aber die Devianz an sich. Und auch nach einem erfolgreichen Jagdtag, nach Jahrzehnten der Massenverfolgung, kommt es nicht zu einer Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse – im Gegenteil: Misztrauen und Angst haben die Jagdgesellschaft verunsichert und erheblich dezimiert.

Die Denunzianten, besser: die Denunzierenden sind von persönlichen Motiven getrieben. Neid, Habsucht, Rachsucht. Die Obrigkeit – ob städtisch, staatlich oder kirchlich – interessiert sich nur für einen Aspekt: die religiöse und / oder sexuelle Devianz. Privates wird jetzt öffentlich. Die Beziehungen zwischen Denunzierenden und Opfern sind vor der Tat meist eng und vertraut. Im Akt der Denunziation haben die Denunzierenden einen kleinen Anteil, schnappen nach einem ganz kleinen Bissen, einer Oblate vielleicht nur der groszen Macht, Vater, Staat, Patriarchat.

In modernen Gesellschaften wird Denunziation gesellschaftlich geächtet. Staatlich erwünscht bleibt sie. Es ist die Entscheidung der Behörden, wie sie umgehen mit den Denunziationen und es lassen sich nachträglich keine Regeln über den Umgang aufstellen: wieviel Verantwortung erhält der Zeuge, musz er Beweise beibringen, gibt es Prüf-Instanzen, wie grosz ist die Gefahr, dasz aus Anklagenden Angeklagte werden ?

Seit dem 18. Jahrhundert entsteht in Frankreich das Berufsbild des Denunzianten, Spitzel der neu-gegründeten politischen Polizei werden bezahlt. Herleitung des Wortes: Denunziation stammt ursprünglich aus dem Kirchenrecht, „denunciatio canonica“: ein Geistlicher meldet einen Glaubensverstosz eines Kollegen.

D wie Daniels – der selbstgewählte Name. Stormy Daniels

Für einen Ausflug in Stormy Daniels Leben passieren wir mehrere Rote Pfähle, wie sie einst am Ufer des Mississippi von den Native Americans errichtet wurden. Danach heiszt Stormys Heimatstadt, sie erwähnt sie immer wieder, ihre Herkunft aus Louisiana und Baton Rouge.

Ihre Kindheit ist das Gegenteil von behütet. Der Vater ist ein stattlicher, intelligenter Mann von 1,95 mit, ich zitiere, Cherokeeblut in den Adern. Er ist erfolgreicher Bau-Ingenieur, der überwiegend auf Montage ist. Er verläszt die kleine Familie. Ein Kind wollt er niemals haben. Die Mutter beschreibt Stormy als blondgelockt und winzig. Nachdem der Vater die kleine Familie verlassen hat, läszt die Mutter, die auch vorher kein besonderes Interesse an ihrem Kind hatte, sich komplett gehen. Geplant war ohnehin ein Junge, für den das Kinderzimmer schon dekoriert war. Stormys Formulierung ist deutlich ohne anklagend zu sein: ihre Mom habe es nicht so mit Denken gehabt. Sie war auch nie berufstätig. Ihr einziges Interesse habe ihrem Mann gegolten. Danach besteht ihre Hauptbeschäftigung im Rauchen und Cola-Trinken. Sie kellnert dann und hat noch einen zweiten Job.

Sie vernachlässigt sich, die Tochter und die Wohnung, die vermüllt und bald von Ratten und Kakerlaken bewohnt wird. Oft kommt sie aus der Schule und der Strom ist weg. Freunde kann sie nicht nach Hause mitbringen. So beschreibt sie die Siedlung in Baton Rouge: „Unser Haus im McClelland Court war klein, der Vorgarten bestand aus zwei gleich groszen Rechtecken, eins asphaltiert für die Auffahrt und eins aus räudigem Rasen. Die Strasze gehörte zu einer hufeisenförmigen Siedlung, in der alle Häuser gleich aussahen und die gleiche Ausstattung hatten. Wir wohnten in einem Flachbau, Bungalow Ranch-Style mit drei Schlafzimmern, die diese Bezeichnung allerdings kaum verdienten. Ich hatte ein Wasserbett mit vinylbespanntem Rahmen, das immerhin war cool. Die Nachbarhäuser lagen nur ein paar Meter voneinander entfernt – falls Sie eins kaufen wollen, der Preis müszte heute bei 24.000 Dollar liegen.“ (Daniels, S. 23)

Auf Erwachsene kann man, also kind sich nicht verlassen, das lernt sie schnell. Als sie herausbekommt, dasz ihre beste Freundin, die sie zum Schutz im Buch Vanessa nennt, von einem Nachbarn miszbraucht wird, weckt das einen Beschützerinnen-Instinkt in ihr. Sie ist neun Jahre alt. Der Nachbar hat eine riesige Video-Sammlung, mit der er Kinder ins Haus lockt. Und dann schärft er den Mädchen ein, es sei ein Geheimnis. Stormy erinnert sich:

„Ich war neun. Noch ein Kind. Und dann kein Kind mehr. Was folgte, waren zwei Jahre sexuelle Gewalt. Dieser Mann vergewaltigte Vanessa, also ging ich dazwischen und stellte mich selbst zur Verfügung, immer wieder, nur damit er sie in Ruhe ließ. Vanessa war erst recht noch ein Kind und zerbrechlich, dachte ich in meiner Kinderlogik, ich war das nicht. Wenn ich zu ihr nach Hause radelte und erfuhr, dasz sie bei ihm war, polterte ich so lange an seine Tür, bis er aufmachte. … Um halb fünf war Schluß, dann kam seine Frau von der Arbeit.“ (Daniels, S. 41)

Stormy verstand es nicht und versteht es bis heute nicht, womit der Mann Vanessa in der Hand hatte. Warum sie zu ihm ging. Und sie fragt sich und uns, wieso die Mutter nichts wuszte. Die tiefgläubige und sehr traditionelle Mutter. Mit zehn Jahren hört sie zufällig ein getuscheltes Gespräch („typisch Erwachsene, wenn sie nicht wollen, dasz jemand mithört“ (Daniels, S. 42)) von Vanessas Eltern. Sie wird als „Abschaum“ tituliert, als jemand, „der es nie zu was bringen wird – bei der Mutter“. Und der Blick in den Spiegel wirft ein fremdes Bild zurück, es ist Stormy, wie sie von den Anderen gesehen wird: Haare, die ihre Mutter nie anfaszte, schmuddelige Klamotten.

Ein Schlüsselmoment, ein Wendepunkt. Stormy klatscht sich kaltes Wasser ins Gesicht, um die Tränen zu stoppen und spricht „zwei kleine, aber alles entscheidende Wörter: „Fuck you!““ (Daniels, S. 41)

So erklärt Stormy auch die Gründe, weshalb sie Erwachsene nicht um Hilfe bat. Man würde sie fragen, warum sie nicht gleich … Man würde vermuten, dasz es ihr Spasz mache … Generell waren in ihrer Welt Erwachsene keine Menschen, die einem halfen. Der Täter wurde war später angezeigt, kam aber nie in Haft. Stormys Ketten-rauchende Mutter hat es gewuszt und geschwiegen – so verursachte sie Stormys Schweigen mit.Als sie später von einem Vertrauenslehrer einbestellt wird, um zu bestätigen, was Vanessa ausgesagt hatte über den Grund ihrer Panikattacken, packt sie aus: „Mit mir hat er das auch gemacht.“ (Daniels, S. 47) Das Ergebnis: der Lehrer glaubt ihr nicht nur nicht – er unterstellt ihr sogar, dasz sie eifersüchtig auf das andere Mädchen sei, das soviel Aufmerksamkeit bekäme.

Sie schweigt danach für Jahrzehnte. Und ein eisiges Schweigen steht nun zwischen den beiden ehemaligen Freundinnen. Auch Jahrzehnte später zögerte sie, „diese Geschichte“ öffentlich zu machen. Sie will nicht, dasz die Leute denken: „Da sieht man’s wieder, Frauen in der Pornobranche haben alle „einen Schaden““. (Daniels, S. 48) Schon deshalb Unfug, da ja über 80 Prozent der Frauen sexuelle Gewalt oder Belästigung erfahren haben und keineswegs alle Pornostars geworden seien.

Ein Flashback erwischte sie erst 2017 bei einem Besuch in der Hufeisensiedlung. Beim Anblick des Hauses, in dem sie immer wieder vergewaltigt wurde, „klappte sie einfach zusammen.“ (Daniels, S. 49) Zu drastisch und ekelerregend seien die Szenen, um sie zu schildern. „Vor allem tut es einfach weh, wieder zu spüren, wie schutzlos ich gewesen bin.“ (Daniels, S. 49)

Sie definiere sich nicht darüber, diese Gewalt überlebt zu haben. Aber es hat sich in sie tief eingegraben: „Die Erwartung, dasz mir niemand glaubt, wenn ich um Hilfe bitte.“ (Daniels, S. 49) Die Typen, die ihre Mutter zuhause anschleppt, wechseln. Einen jähzornigen Alkoholiker heiratet sie sogar. Doch von dem bekommt sie, als er sie sturzbetrunken vom Reitstall abholen soll, in dem sie mit einer neuen Freundin abhängt, in dem sie sogar einmal pro Woche bei Miss Cathy eine Reitstunden nehmen kann, 500 Dollar für ein ausgemergeltes und krankes Pferd. Perfect Jade heiszt die Stute.

Eine wunderbare Pferde-Mädchen-Geschichte musz hier erzählt werden. Beide retten einander. Das Pferd, einst von edler Vollblut-Abkunft, jetzt vernachlässigt und bösartig geworden und das Mädchen aus einem verdreckten Stall, das mit groszer Entschlossenheit und Klugheit das Tier retten will, um einen Kumpel zu haben. Es gelingt. Anfangs wird sie gebissen – und nach einer Attacke während des Fütterns schreit sie auf und beiszt der Stute ins Ohr. Ein Moment der Erlösung. Jade greift sie tatsächlich nie wieder an. Und schon bald glänzt ihr Fell wieder. Sie kann sie bald reiten.

Im Stall freundet sie sich mit einem gleichaltrigen, also ebenfalls 13jährigen Jacob an. Sie „gehen miteinander“. Nach Hause zu seiner christlich-konservativen Farmerfamilie traut sie sich nicht. Aber sie traut sich, mit ihm Sex zu haben. Im Pferdestall. Wir schalten uns da mal ein:

„Es war meine Entscheidung, bei Jacob fühlte mich mich total sicher. Wir hatten Sex auf einer Kühltruhe, die sie für das Futter nutzten. Es war für uns beide das erste Mal, und ich hatte – Segen und Fluch zugleich – einen Orgasmus. Es klingt so toll, aber wissen Sie, wie schwer es die nächsten 15 Jahre war, einen Jungen zu finden, mit dem es genauso geklappt hat?Nach diesem Abend haben wir gefickt wie die Karnickel. Wir schlichen uns in den Heuschober und hatten Sex. Immer verstohlen … Das Ganze hatte eine seiner religiösen Familie geschuldete Aura der Sündhaftigkeit. Bis zum Sommer vor der neunten Klassen ging alles gut, dann flogen wir auf. … Sie (die Eltern) verboten ihm, mich wieder zu sehen, und er gehorchte. … sie lieszen mich wissen, dasz sie mich für ein Stück Scheiße und Abschaum hielten. Der Scheiszabschaum hatte allerdings ein so gutes Zeugnis, dasz er in eine Schwerpunkt-Highschool durfte.“ (Daniels, S. 55f)

So verloren sich die beiden ohnehin aus den Augen. Neben Schreiben wird Englisch und Schreiben ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie wird Redakteurin der Schülerzeitung. Schnell gewinnt sie neue Freundinnen. Da sie ein Pferd zu versorgen hat, musz sie immer arbeiten. Sie kann bald selbst Reitstunden geben. Jade rettet sie davor, zu Hause rumzusitzen und auch Crack zu rauchen und zu saufen. Crack sei für den Niedergang des ganzen Viertels verantwortlich. Als ihre Mutter kreischend und nackt in den Weihnachtsbaum fällt, der auch im Januar noch die elende Bude schmückt, zieht Stormy mit ihrem aktuellen Freund aus. Wie die Geschichte weiter geht, und wie Stormy zur Bühne und zum Tanzen kommt, wird unter Buchstabe T erzählt.

M wie Misogynie. M wie Macht. M wie Männlichkeit.

Die zu überspringende Hürde könnte aus einem Bademantel, einer Feinripp-Unterwäsche-Garnitur und einer ordensgeschmückten Uniform bestehen. NUR Textilien, gleichwohl nicht zu unterschätzen.

Waren wir Frauen nicht alle dabei, als sie das erste Mal Trump trifft, er sie zum Essen einladen will? Nun, dasz er sie im Seidenpyjama in seiner Suite empfängt, das kennen zum Glück die Wenigsten. (Sie brüllt ihn übrigens an, dasz er sich etwas anziehen soll.) Aber die Tatsache, dasz es dann gar nichts zu Essen, sondern nur Selbstbeweih-räucherung gibt, die kennen wir. Stormy schreibt in „In aller Offenheit“: „Wir fingen an, uns zu unterhalten. Besser gesagt, redete nur er, ohne mich auch nur irgendetwas zu fragen, was mit mir zu tun hatte. Eine grosztuerische Protzerei nach der anderen. Ich erspare es Ihnen. Langsam fand ich das ziemlich beleidigend. Da kamen meine Louisiana-Wurzeln durch. Es war einfach völlig unpassend. Wenn Sie jemanden einladen, können Sie doch nicht die ganze Zeit über sich reden. Ich war ja schlieszlich nicht seine Therapeutin. Und einen Job bei ihm wollte ich auch nicht. Außerdem hatte ich allmählich tierischen Hunger.“ (S. 145) Trump monologisierte weiter, die einzige Frage, die er Stormy stellte war, ob sie sein Magazin und seine Fernsehsendung kennt. Und seine hübsche Tochter.

P wie Porno

Auf den ersten Blick sieht die Hürde aus wie eine grosze Fleischwurst. Bei näherem Hinsehen hat der Körper Wulste und Öffnungen. Aus einigen rinnt ein milchiger Saft. P wie Porno von Porne wie Hure. Kaum ein Prominenter, eine Person des Öffentlichen Lebens, ob Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur oder Kunst würde öffentlich zugeben, Pornos zu konsumieren.

Stormy Daniels ist vor dem Internetzeitalter in die Branche gegangen. Die Filme wurden für spezielle Kinos oder für Kassetten bzw. DVDs produziert. Mit 22 Jahren ist Stormy Daniels Hauptdarstellerin, Autorin und Regisseurin bei der groszen US-Pornofilm-Firma „Wicked“. Sie ist stolz auf das Erreichte. Sie ist erfolgreich in einer Männerbranche. Konsumenten, incl. Porno-Süchtige, die ihr Leben nicht mehr im Griff haben und Produzenten sind ganz überwiegend Männer. Und sie, hat sich hier das Objekt zum Subjekt gemacht? Welche Position will ich einnehmen? Wie die Person, die das Gewerbe freiwillig und erfolgreich ausübt, trennen von der Institution, die Frauen ausbeutet und erniedrigt? Oder ist das Moral-überschüssig? Und wenn ja, was ist gegen Moral zu sagen?

Zurück zur Sexfilm-Industrie. Die Umsätze sind schwer schätzbar, besonders seit die Darstellungen auf Plattformen wie „Pornhub“ abrufbar sind. Pornos sind seitdem überall und von jedem konsumierbar, schon Elfjährige schauen. Männer in den USA und in Deutschland gehören zu den eifrigsten Porno-Nutzern. Die Umsatzschätzungen für die Vereinigten Staaten nennen hohe zweistellige Milliardenbereiche.

Da ist also ein gigantischer Kinosaal, alle stöhnenden Männer im Dunkeln, das ganze erstaunliches Riesen-Geschäft im Dunkeln, anonyme Konsumenten, und jedesmal blinkt auf der Leinwand neben dem Namen Stormy Daniels „Pornostar“ auf. Keinem anderen Beruf wäre diese Ehre zuteil geworden.

Nicht hoch scheint diese Fleischwurstwand zu sein, Überwindung ist insofern schwierig, da die sie dem Wesen nach schmierig und schleimig in realer Existenz ist.

T wie Tanzen (mit Ausziehen)

Angelehnt an Stormys Anfänge auf Tanzbühnen besteht die Hürde hier aus Holzpaletten, grob gezimmert mit Strasz-Pailletten oben auf, fein glitzernd.

Stormy Daniels hat schon in der High School gern getanzt. Frühere Versuche sind nicht so Glück-versprechend: In ihrer Autobiographie beschreibt sie den Ehrgeiz der Ballettmädchen-Mütter, die ihre Kinder für eine Kinderstar-Karrierre zurichten. Es wird nicht ihre Welt sein.

Mit ihrer Freundesclique besucht die Siebzehnjährige Stormy einen kleinen und wohl ziemlich abgeranzten Strip-Club in Baton Rouge. Durch freundschaftliche Kontakte zu den dort tanzenden Frauen kommt sie ins „Business“.

Stormy lernt von dem Besten und will nur das Beste. Für ihre Showklamotten fliegt sie nach Tucson, Arizona, noch heute läszt sie bei „Jacquie the Costume Lady“ schneidern. Die ersten Pailletten-besetzten Kostüme kosten 5.000 Dollar. Stormy, die an Kapitalismus und American Dream glaubt, beglaubigt beides stets durch Dollar-Summen. Stormy, warum dieser Aufrisz?

„Sie denken jetzt wahrscheinlich, ein Bikini tut‘s doch auch – aber richtige Performer arbeiten anders. Wenn Du einen Raum beherrschen willst – nicht nur die Aufmerksamkeit der Leute gewinnen willst, sondern auch Trinkgeld verdienen – , muszt Du ein ganzer One-Woman-Circus sein. Zirkusdirektor, Clown, Löwe, Seiltänzer, Zauberkünstler und Assistentin des Zauberers, alles in einer Person. Deine Kostüme müssen eine Geschichte erzählen, und wie bei jeder Geschichte muss es verschiedene Ebenen und Über-raschungen geben, damit Du die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht verlierst. Das ist der Grund, warum ich mir, als eines der ersten Dinge bei der Vorbereitung meiner eigenen Show, das Feuerschlucken beibringen liesz.“ (Daniels, S. 95)

Faszinierend bei dieser Art des Tanzes ist die Art der Entlohnung. Die Zuschauer stecken Geldscheine in die textilen Andeutungen der Tänzerin. So dienen diese Andeutungen nicht nur zur Steigerung der erotischen Qualität, sie sind auch praktisch unabdingar. In Ohio wird Stormy 2018 nach einem Auftritt in einem Strip-Club verhaftet. Der Vorwurf: sie habe Zuschauende angefaszt und zwar habe sie die Köpfe der Männer zwischen ihre Brüste gedrückt und weibliche Gäste gestreichelt. Das ist in Ohio verboten. Polizisten waren undercover im Laden. Nach einigen Stunden wird Stormy gegen Kaution freigelassen – denn das Gesetz verbietet die Interaktion nur Tänzerinnen, die regel-mäszig in einem Club auftreten. Es war Stormys erster Auftritt in Ohio.

W wie Wicca

Ehrensache, dasz wir uns hier die Hürde selbst bauen. Vorschlag: Pestwurz, Tollkirsche, Petersilie und geheime Zutaten. Unbedingt hängen wir ein Pentagramm an das Zaunelement. Malen tun wir das Fünfzackige Zeichen mit einem dicken Edding, ohne abzusetzen. Ungeübte zeichnen ein Fünfeck mittig in einen Kreis und setzen dann an jede Längsseite des Fünfecks ein Dreieck, schön gleichmäszig und nur eben anstoszend an den Kreis.

WICCA, das kommt aus dem Altenglischen und enthält von daher eine höhere/ beglaubigtere Wahrheit. Vgl. Hagazussa statt Hexe. WICCA ist eine religiöse Bewegung. Wer eine Schublade sucht, findet sie in der namens „Neo-Paganismus“, deutsch „Neuheidentum“. WICCA wird von schlauen Menschen als „Mysterienreligion“ bezeichnet. Das meint, dasz spirituelle Erfahrungen der Einzelnen wichtig – sie führen zu tieferen Einsichten und dem Teilen von Geheimnissen. Also kann die genaue Zusammensetzung der WICCA-Hecke nicht angegeben werden. Zum WICCA-Kult gehört auch das fröhliche Vermengen und Vermischen und Schütteln von Elementen vieler anderer Religionen und Kultpraktiken/ Rituale. Es ist also ganz viel erlaubt. Was genau, musz eine/r selbst erfahren. In Coven, deutsch „Hexenzirkel“ treffen sich 13 Hexen. Werbung oder Mission wird nicht betrieben. Acht grosze Feiern gibt es im Jahr. Es besteht die Auffassung, dasz es innerhalb oder besser unterhalb des Christentums eine überlebende heidnische Religion gab, die weitergepflegt werden will. Dergleichen hatte im 19. Jahrhundert der französische Historiker Jules Michelet und seine Frau Athenais nahegelegt. HistorikerInnen haben seine Thesen ins Hexenforschungs-Museum verschoben. Hexerei als Form der Rebellion gegen Feudalismus und Römisch-Katholische Kirche. Die Hexe als Rebellin. Die Quellen geben das nicht her. Eigentlich schade. Das Bild blieb stark. Zuviele Historiker haben aus der männlicher und überheblicher Sicht geschrieben und die Forschungen von Frauen ignoriert. (Freilich gilt das nicht nur für die Hexenforschung. Michelet aber glaubte an die HEXE. An eine starke achtbare Kraft/ Frau.

In der WICCA-Welt gibt es unterschiedliche Richtungen, Feminismus spielt nur bei wenigen AnhängerInnen eine Rolle. Schadenszauber wird grundsätzlich abgelehnt. Der Teufel gehöre ins Christentum, nicht in die WICCA-Religion mit groszer Göttin und komplementärem Gott. Sie sind alle naturverbunden und bei Insta.

In den USA hat sich dies Bild der kämpferischen für Frauen eintretenden HEXE gut konserviert. Auch die Engländerinnen entdeckten eine freie, ihr erotisches Begehren auslebende HEXE. In den 1950er Jahren bastelte ein aus der brit. Kolonie Malaysia zurückkehrendes Beamten-Ehepaar eine neue Kirche. Sie gingen optimistisch (?) davon aus, dasz die als Hexen verfolgten Frauen Nicht-Christen waren wie sie selbst. Ich glaube, sie haben sich eine fröhliche Kirche ausgedacht: mit Festmahl, Tanz, Gesang und Sex. Worüber ich aber keine näheren Auskünfte zu geben vermag. Wohl aber darüber, dasz erst 1951 der „Witchcraft Act“ von 1735 aufgehoben wurde – das war die rechtliche Voraussetzung.

Weltweit praktizieren wohl derzeit weniger als 1 Million WICCA-AnhängerInnen ihre Religion.

Wir enden mit A. A. wie Anstand. Fehlender.

Ein ganz kleiner Stein des Anstoszes ist unser Schlusz-Stein. Der mächtige Präsident setzt einen obersten Richter gegen massive Widerstände ein.

Der Richter greift die Frau an, die glaubhaft versichert, als Minderjährige von ihm vergewaltigt worden zu sein. Der Richter praktiziert Slutshaming, häszliches Wort, zu schön für den Tatbestand. Später muszte sie mehrfach den Wohnort wechseln, Präsidenten-Freunde bedrohten sie. Die Frau, die mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit ging, ist Psychologie-Professorin. Sie hat sich solidarisiert mit der Porno-Darstellerin, nannte sie „Shero“, eine Heldin. Gelebte und geliebte Solidarität.

Alles nur eine Momentaufnahme.

Der Präsident übertrifft sie alle in Punkto Opfer-Verhöhnung. Wer möchte da nicht dabei sein, na? Etwas teilhaben an der groszen Macht, dem bösen Papi auf oder in den Schosz kriechen, zu und zu herrlich. Aber: Alles nur eine Momentaufnahme.

Text: Wiebke Johannsen, geschrieben im Dezember 2024, Illustrationen: Dr. Birgit Kiupel