Feminismus

Fräulein

Collage - eine Hecke, darin ein gezeichnetes Fräulein
Collage: Birgit Kiupel
Das Fräulein lebe hoch! Vom Fräuleinwunder über Fräulein von Bernburg zum „Hochadeligen Fräuleinstift Mosigkau“. Ist das Fräulein das Dritte Geschlecht? Doing Fräulein. Ein kl. Einblick in die angewandte Fräuleinforschung.

 

„Hello, Frollein!“

Mir doch egal, was die Leute sagen. Also auch, was sie zu mir sagen. Die olle Lehmann aus’m Parterre ruft „Ami-Flittchen“ hinter mir her. Perlt vollständig ab an mir. Kusine Herminchen, die ja mit’m Neger geht, ganz solider und gepflegter Bursche, wirklich wahr, die hat der Lehmann neulich hinterhergerufen – die Lehmann war noch ausfälliger geworden –  Alte Nazi-Wachtel, bist ja blosz stinkig, dasz Dein Alfred im Krieg geblieben ist! Das haben aber alle gedacht, auch dasz es ihr ganz recht geschieht, war doch die erste, die damals geflaggt hatte. Obwohl, da war ich noch zu klein zu, damals. Tausend Jahre her.

Jetzt bin ich erwachsen und mit Englisch steht mir doch die ganze Welt offen. Als „Dame“ sowieso – sagte neulich Onkel Hugo, der alte Schwerenöter, wollte nur mal wissen, wie Nylonstrümpfe sich so anfühlen. Stimmt, letztes Jahr war ich noch „Mädel“ und muszte diese häszliche Uniform tragen, die Taille viel zu hoch, Bubi-drück-mich haben wir gesagt, wollten nicht alle so haben. Mit denen habe ich gar nichts mehr zu tun. Ich hör auf „Frollein“ und warum auch nicht, meinen Namen können die nicht gescheit aussprechen, machen sowas wie „Scheisihla“ draus – zumindest, wenn sie ihn lesen.

Von wegen, ich hab mich „weggeworfen“. Jungfrau war ich doch sowieso nicht mehr, damit geht’s doch schon mal los. Wie kann man nur so von gestern sein! Ich bin doch nicht von der Bühne verschwunden oder krepiert oder … Mir ging’s noch nie so gut. Und hab ich den Amis vielleicht den Krieg erklärt?

Aber dasz ich’s mach, also mit Bob und manchmal mit Ben, Joe und anderen, blosz für Nylons und Kippen, das ist nicht wahr. Manche sind zärtlich wie kleine Jungs, spielen richtig, na, nicht grad, wenn wir uns in den Ruinen treffen oder unter dem Reichsbahn-Viadukt. Besser ist natürlich der Bunker, wo Veronika wohnt. Die Arme. Der Name ist ja ein Inbegriff. Diese gräszlichen Plakate überall, fast wie früher. „Veronika Dankeschön“ oder blosz „VD“. Und dann ein grinsender Totenschädel mit rosa Haarschleife oder Hütchen. „VD“ ist eine Abkürzung, eigentlich nicht für Veronika. Auch nicht für „Vergeltung“. Genau weisz ich’s nicht, aber es hat was mit Vene und Krankheit zu tun. Aber hab mich untersuchen lassen.

Und wg. Nylons. Als ob’s darum ginge, wir,  jetzt hab ich wir gesagt, also Kusinchen und Veronika und ich auf jeden Fall, wir sorgen doch für den Unterhalt der ganzen Familie, Mutti tauscht und hält sowieso die Klappe, die lästigen Fritzchens und Hänschens kriegen Schokolade und Kaugummi. Kannten die ja beides gar nicht. Die Schie-Eis sind sowas von kinderfreundlich. Von den Lebensmittelzuteilungen kann doch niemand leben. Kleider sind auch alle verbrannt, wobei’s aber nicht schade drum ist. Veronika sagt, das Ganze sei ausbaufähig. Und dasz wir jetzt schon an den Winter denken sollen, musz ich noch mal nachfragen, was genau sie meint damit.

Mosigkau, den 12. Juno 2005
Herzallerliebstes Fräulein Annette!

Ich küsse Ihre holden, begnadeten Hände, federlich-gedanklich die mir von Ihnen geschenkte Zärtlichkeit erwidernd. Sie können mich hier im ehemaligen Herzogtum Anhalt-Dessau nicht auf elektronischen Wege erreichen – was ich Ihnen mitzuteilen habe, ist, wiewohl es nur ein Vorläufiges, Erstes und Luftiges ist, ohnehin zu grosz und blühend für eine moderne Tasten-Kurzbotschaft. Der Turban einer Türkin, ein achteckiger Ordensstern, zwölf schöne katholische Engländerinnen, ein Rokkoko-Schlosz und Ihre Namensbase als Barock-Befürworterin. Und gibt es nicht weit mehr Gründe, sich nicht zu verehelichen, (das neumodische Verpartnern hier einmal apart gelassen) als es zu tun?

Meine smaragd-äugige Schönheit! Wie sehr Sie recht haben mit Ihrer These, die Titulatur „Fräulein“, sei einst Standesbezeichnung und Macht-kündend gewesen, davon kündet noch der Name des 170 Jahre lang existenten „Hochadeligen Fräuleinstiftes Mosigkau“. Die Dame von Stand war ein Fräulein. Und bei ihr war An-Stand. Und Stand war Unterstand und schlosz Bewegung nicht aus, was ich zu erklären habe im Leben Ihrer Namensbase Annette von Glaffey. Fräulein von Glaffey, sechste Äbtissin des Sechs-Damen-Stiftes, gegründet am heutigen 12. Juno – ich habe das nicht gewuszt, aber wer weisz, welche Macht mich gerade jetzt hierher geweht hat, um für unser Wohnprojekt zu recherchieren. „Fräulein“, keineswegs immer einzeln gedacht, und herkommend von der Edeldame „vrouwe“ und der unverheirateten „vrouwelin“. Herrin, Gebieterin. Das sind die Bildungsglitzersteine, die ich Dir reichen kann. Und warum blieben die anhaltinischen Fräuleins des 18. Jahrhunderts Fräuleins? Ihre Gräber schweigen. Gewisz mehr Gründe als Fräuleins. Doch der tiefste Grund und der Beweggrund für die Gründung des Institutes für die Dame von Stand war ökonomischer Raison und Folge des Miniatur-Absolutismus der deutschen Fürsten. Die Güter eingezogen oder sonstwie perdü, die Männer des Adels im Dienst der Fürsten – und ihre Schwestern und Töchter keine Spielsteine mehr im strategischen Partie-Spiel. Selbst war das Fräulein nicht, arm war es nach den Begriffen von Stand und Glanz. Stifterin Anna-Wilhelmine von Anhalt-Dessau muszte nicht heiraten.

Edles Fräulein Annette: Ihre 227jährige Namensschwester floh per Kutsche vor Napoleons Truppen, ich sah im Schlosse ihr Portrait – eine Stolze, gewandet alla turca mit weiszen Klunkern und Turban, ein Rosenmündchen und braune Augen. Sie kam mit 21 Jahren und widmete sich Kunst, Philosophie, Literatur und Geschichte. Unerhört und ungehörig die Neuerungen ihrer Regentschaft, beide fortschrittlich bürgerlich. Erstens implantierte sie die Arbeit in Gestalt von Seidenraupenzucht im Irrgarten, von Mädchen-Unterrichtung und Sozialarbeit. Und liesz zur bürgerlichen Revolution eine Flagge nähen und besticken. Meine Theuerste: ich berichte mit der nächsten Post weiter vom gewesenen Fräuleinstift – von der wundervollen Stifterin und wie die Bodenreform der DDR der Wohngemeinschaft ein Ende machte.
Unwandelbar die Ihre: Fräulein Beate

Fräulein in Uniform (eine aus dem Film herausgekürzte Szene)

Sie war ausgerissen, bekleidet nur mit dem langen Nachthemd, raffen muszte sie es, um hier drauszen nicht zu stürzen. Sie war ausgerissen trotz oder wegen des Windes, der Schwärze der Nacht, krachender Äste, klatschenden Wassers. Hingezogen hatte es das gerade vierzehnjährige Mädchen hinein in den Park des Prinzessin-Helene-Stift, wo tagsüber eine Stunde spazier-exerziert wurde (zu blasz waren die Kinder sonst), um zu sterben wie ein armes Tier oder aber ein Gefühl für den eigenen Körper wiederzuerlangen. Aber Manuela von Meinhardis dachte keine unterscheidbaren Gedanken. Das Gewitter zog heran, der Blitz herunterfallende silberne Nadeln hinter der Garnisonskirche, der Donner folgte unmittelbar, der Klang der tiefsten Kirchenglocke, sie folgten einander wie Oberin und Fräulein von Kesten. Doch welche war Licht, welche Grollen? Fräulein von Kesten konnte niemand für einen Blitz halten, nicht, dasz sie langsam war, nein, sie konnte sogar an mehreren Stellen gleichzeitig sein, sie konnte sich unhörbar bewegen und ihre Geschwindigkeit wurde reguliert von Oben, nennen wir es Notwendigkeit, Ordnung, Institut oder Institution, Militär, Preuszen, Deutschland. Dafür war aus Fräulein von Kesten in grauer Vorzeit alle Farbe herausgesogen worden, grau war das Kleid, das keinen Körper verriet, es fiel gerade herab und „fast scheint es, als müszten die fest an die Seite gepreszten Arme und die auf dem Magen gefalteten Hände das Kleid halten.“ Der Oberkörper nach vorn gebeugt, ein Späherblick in allen Ecken. Ihr Kommen konnte das Erscheinen der Oberin bedeuten, in Tracht auch sie, das kleine Spitzenhäubchen und dünnes Haar mit groszen Haarnadeln auf den Schädel gesteckt. Die Oberin bewegt den schweren Körper mithilfe eines Stockes, es folgt das Kinn, schwarz, nicht grau ihr Kleid, ein schmaler, fest geschlossener Mund, die Augen geradeaus und alles durchbohrend. Die Zöglinge sanken vor ihr nieder wie Reisig im Wind.

Manuela zitterte, doch es war nicht Sturm und Kälte, die sie frösteln lieszen, eine eisige Hand drückte auf ihre Brust. Heute Nacht hatte Fräulein von Bernburg ihre Hände eine Ewigkeit in ihrem Nacken ruhen lassen, der Kusz, der ihr galt, nicht den elf anderen Mädchen, sondern ihr mit der Nummer 55, war Heimat, war das weiche Plumeau in ihrem Kinderzimmer, war Groszmutters Apfelkuchen mit Rahm und die ungestümen Liebkosungen von Bella und war auch schmerzhaftes Ziehen, unbekanntes Weh. So herrlich und so gerecht und so mild ist Fräulein von Bernburg, dasz man selbst, indem sie sich zu einem hinabbeugt, einen ansieht, etwas Ermunterndes sagt oder eine berührt, teilhat an ihrer Herrlichkeit und Güte und Gerechtigkeit. Alle seien gleich, sie habe alle Kinder gleich lieb, das musz sie sagen.

Der Sturm war ihr Freund und sie war ein Knabe, der sich messen wollte mit ihm. Ich möchte Dich kräftig umschlingen, Du wilder Geselle! rief sie. Doch dann fiel eine Stille herab, die sie erschrak. Ein Leuchten, ein Druck auf ihre Schulter. Es muszte die Hand sein, von der sie Sonntags sangen: „So nimm denn meine Hände/ und führe mich/ bis an mein selig Ende/ und Ewiglich.“

Mosigkau, den 13. Junius 2005
Hochgeschätztes und tiefvermisztes Fräulein Annette!

Ach, könnte ich doch mit Ihnen durch die Galerie wandeln, mich mit Ihnen im Garten promenieren, Kahn fahren auf dem Teich, schieszen auf den hölzernen Vogel, einen Thee nehmen im chinesischen Pavillon, Fortune spielen, Verstecken im Labyrinth, auch Schaukeln und Karussel fahren! Sie, Ihre Lust an Bewegung und dem Überwinden von Grenzen, Ihre Verehrung, die Sie für weibliche Schönheit empfinden und auch Ihr Sinn für die Herleitung des Heute aus tieferen Schichten fänden hier den angemessenen Rahmen; das „Maison de Plaisance“ der ledigen Anna Wilhelmine von Anhalt-Dessau öffnet sich südseitig zum Garten, Gartensaal und Garten-Parterre ein Reich, Flora und Venus auf der Freitreppe geleiten Sie hinaus und hinein, der spätbarocke Garten wird „architektonisch“ genannt, die Abfolge der Räume eine „Enfilade“, Zimmer als Halskette. Und in ebensolcher intimen Nähe präsentieren sich die Bilder der Gartensaal-Galerie auf grünem artifiziellem Marmor. Die Ihnen wohlvertraute „barocke Hängung“. Das westlich davon gelegene vertäfelte Kabinett, hier rechnete, schrieb, arbeitete die Fürstin, birgt wahre Perlen, gemalte in Wirklichkeit: alle zwölf dargestellten Damen tragen Collier. Sie alle waren Hofdamen von Maria Stuart, Stirnlöckchen, ein tiefes Decoltée, ernste, fixierende Blicke. Hohe Damen mit hohen Brauen. Gewisz erinnern Sie das antiquarische Taschenbuch mit den Daquerrotypien zum Teil schocking wenig bekleideter Fräuleins aus Elisabeths, verkitscht „Sissi“s, Schönheitengalerie.

Das Labyrinth, das streng genommen ein Irrgarten ist, denn der Garten im Garten mit Hecken-Wänden besteht nicht aus einem aufgefalteten, gerollten, geschwungenen Weg, der ins Zentrum führt – wie sinnig ist das Leben, nimm den Weg, der sich vor Dir auftut – sondern aus Weg-Gewirr mit Kreuzungs-, Umkehr-, jedenfalls Entscheidungsorten, das Labyrinth ist eine grüne Trafostation, ein Kippspiegel, wo Interieur und Exterieur, Gestern und Heute, Gender und Sex sich ineinander verwandeln. Eine Orange rollt vor unsre Füsze, drei Wege führen die fremde Frucht ins Fürstentum: Die Urgroszmutter Wilhelminens, Prinzessin Henriette Catharina ist eine geborene Oranierin, die holländische Adels-Familie brachte vor Jahrhunderten die Orange aus Südfrankreich mit. Schrumplig wurde die Frucht nicht, sie ziert das Wappen und dreiszigjährig läszt Wilhelmine sich in oranger Robe porträtieren, die Rechte ruht auf zwei Orangen, im Hintergrund der Baum, ein virtueller der noblen Abkunft, drittens ein wahrhaftiger aus der Orangerie, winterliches Heim für über 100 in Eichenkübeln lebende Gewächse, südlich des Irrgartens und somit in verhinderter Point de vue Beziehung zum Schlosse. Ich musz noch vieles wissen und Ihnen mitteilen! Dazu gehören die Details der Jagdleidenschaft der Fürstin, die des Aufnahmerituals ins Fräuleinstift – wir wollen die Erfahrungen nutzen für unser Projekt – und gewisz auch die Frage, welcher Art nach unserm heutigen plumpen Sinn die Freundschaft war, die Amalie Eleonore Bernhardine Freiin von Printzen und die Prinzessin verband, die als rosige Gärtnerin am Gartenfenster des Kabinettes uns mustert. Ein andermal mehr, ich küsse Sie tausendfach!
Ihr Frl. Beate

Verfaszt für die Internationale Fachkonferenz „Performativität und Performance – Geschlecht in Musik, Bildender Kunst, Theater und Neuen Medien“ vom 16. bis zum 18. Februar 2007 an der HAW in Hildesheim. Teil eines Programmes mit Melanie Mehring (Gesang und Piano) und Birgit Kiupel (Zeichnungen und Clips).