Böse Frauen

Eine böse Frau

Zeichnung: aus einem um einen Frauenkopf gewundenen Zopf

oder: erfundene Bruchsteine zu einer wirklichen Biographie oder: Die erste Frau des „Dritten Reiches“: Gertrud Scholtz-Klink (1902-1999)

1. Der Zopf

Die erste Frau trägt die Gesamtheit der Wesens-Zuschreibungen und Kurz-Geschichten auf dem Kopf. Ein Zopf als Abbreviatur, als Quersumme. Was bleibt, ist der erste Blick: sie hat einen Zopf – vielleicht einen eigenen, vielleicht einen fremden – um den Kopf geschlungen wie einen Mauerverband, einen Schmuck oder einen Strick. Unter dem Ährenverbund aus Frauenhaar, dem Tugend-Turm, dem Haarhaus, dem Kranz ein scharf geschnittenes Gesicht, betonte Jochbögen, ein schmaleres rechtes, ein runderes linkes Auge, darunter eine Vogelnase, ein weites, doch schmales Lippenpaar, eine Grübchenandeutung auf spitzwinkligem Kinn.
Der gesteckte Zopf ist deutsche Brezel, ist Reep um den Dampfer Deutschland, ist Logo für die Corporate Identity Germany, Du bist Deutschland und so. Und als Strick ist der Strick-Zopf – Gertrud ist das Strick-Liesel – Metapher fürs Schuldig-Geworden-Sein, was gern Verstricktheit oder Verstricktsein genannt wird.
Irgendwo zwischen Handarbeit und Henker. Doch im Folgenden nehmen wir ordentlich Strähne um Strähne auf, der Zopf ist Nest, ist Gretchen, ist verflochtene Gegenwart und Geschichte, ist Stahlhelm, ist Tarnkappe und Kranz für die Nachwelt und soviel symbolisches Gewicht musz gehalten werden von einem gabelartigen Zeichen, der Haarnadel im Mist-Haufen.

Der geschlungene Zopf ist das NEST.
Im Nest liegen, man stelle sich das vor und dann stelle man sich ergebnislos etwas Besseres vor als eben dies: in einem sauber geflochtenen Nest liegen und ein kleines hungriges Vogelkind sein, das träumt, Adler zu werden. Oder die emsige Vogelmutter sein, die auf dem Nestrand sitzt, ihrem eigenen Bauwerk, in deren Macht es liegt, ob aus dem flauschigen Baby ein stolzer Aar wird. Das Nest ist warm, was sonst. Gertrud Scholtz-Klink, geborene Gertrud Emma Treusch, einem wohlhabenden Beamtenhaushalt entstammend, hat mit dem Lehrer Eugen Klink, den sie achtzehnjährig heiratet, vier Kinder. Er stirbt 1930, wenige Wochen nach dem gemeinsamen Beitritt in die NSDAP. Zwei Jahre später heiratet sie den Arzt Günther Scholz, das gemeinsame Nest wird 1937 kinderlos aufgelöst. Drei Jahre später heiratet die nun höchste NS-Politikerin den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer, der sechs Kinder mit in die Ehe bringt. Er ist ein Nestverwalter der harten Art: der Höhere SS- und Polizeiführer hat alle Nationalpolitischen Erziehungsanstalten unter sich.
Gemeinsam setzen sie noch zwei Kinder in die Welt. Aus dem Heißmeyer-Nest wird 1945 das Stuckebrock-Nest. Das war der Mädchenname von August Heißmeyers Mutter und mit dem bäuerlich klingenden Namen entgeht das Flüchtlingspaar in Württemberg der Entdeckung. Der SPIEGEL meldet Anfang 1948, dasz Gertrud Scholtz-Klink alias Maria Stuckebrock einen „bescheidenen Knoten“ getragen habe. Ein Beweisphoto zeigt eine ernste junge Frau mit scharfen Gesichtszügen, die Haare am Hinterkopf zusammengefasst.

Das Nest ist leer: die Kinder sind bei Verwandten. Auch vorher, da Scholtz-Klink das Nest auf dem Kopf trug, wird sie es, der Vogelmutter ähnlich, oft alleingelassen haben, die zehn erziehen sich gegenseitig, sie hatte Dienst, Pflicht, Frauenschaft. Da hält sie viele Reden über Nest und Brut. Einmal, beim Kreisparteitag der NSDAP im Oktober 1936 in München ermahnt sie zum Fleischverzicht und rät zur Kartoffel. Sie spricht so schlicht:
„ … erstens schadet es manchen Menschen, die geistig oder körperlich leichter arbeiten, gar nicht, besonders nicht ihrer schlanken Linie, wenn sie etwas weniger Fleisch essen, und zweitens ist es auch nicht mehr als recht und billig, daß Menschen und Geschwister, die eine gemeinsame Mutter haben, nämlich Deutschland, sich untereinander ausgleichen und sich gegenseitig aushelfen. Das ist in jeder anständigen Familie so, und das wollen wir auch so halten. Ich sage Ihnen das nur, damit sie einmal sehen, wie heute die deutsche Hausfrau letzten Endes eigentlich der beste Wirtschaftsminister sein könnte; denn wenn wir Frauen nur einmal konsequent für diesen Gedanken eintreten und ihn systematisch durchführen, dann braucht sich der Führer mit seinem ganzen Wirtschaftsstab den Kopf nicht mehr so sehr zu zerbrechen.“

Sie erklärt es den Parteigenossinnen und Parteigenossen, was „Verpflichtung und Aufgabe der Frau im nationalsozialistischen Staat“ ist und so Staat gleich Gelege, Brut ist, so ist Mutti gleich Kindchen.
Kommt her, Ihr Kindlein. Scholtz-Klink:
„Wir haben doch allen Grund dazu, daß wir deutsche Menschen frohe Menschen sind. Ich weiß, wir werden so oft missverstanden. Es kommen Menschen zu mir, die sagen. Sie predigen dauernd, man solle froh sein. Sie selbst sind froh; wir aber haben keine Arbeit, haben Kurzarbeit und kein genügendes Auskommen. Glaubst Du, meine liebe Frau, ich weiß das nicht? Ich weiß, wie schwer es ist, mit wenigen Mark in einer Woche ein Häuflein Kinder zu ernähren. (…) Und weil ich das weiß, fangen wir dort an, wo wir anfangen können.“
Froh sei die Frau und positiv denkend. Das ist ein ausländisches Wort, aber Scholtz-Klink sagt es auch einmal. Ihr Ausblick ist folgender: Leben, Dienst, Zeit, Führer, Lebensgehorsam, Treue, Deutschland. Unser, stellen, damit, aus, und, ewig, schaffen.
Das Vögelein mit dem Nest auf dem Kopf, bildlich, das Muttervögelchen hält im Schnäbelchen ein Zweiglein, zu klopfen an die Unsterblichkeit die verwaltet wird von Hitler. Als der schon 33 Jahre tot ist, 1978, schreibt Scholtz-Klink:
„… wir deutschen Frauen der nationalsozialistischen Zeitspanne (sind) nicht schlechter vorangekommen als Generationen vor uns. Unsere Rechtfertigung und unser Stolz ist jedenfalls, daß die knappen 6 Jahre friedlichen gemeinsamen Aufbauens bis 1939 ausgereicht haben, eine Frauenorganisation geschaffen zu haben, die im Kriege bis zum harten Ende 1945 alle, aber auch alle an sie gestellten Anforderungen hat erfüllen können; (…) auch brauchen wir uns keiner deutschen Frau zu schämen, die in „Erinnerungen“ oder ähnlichem ihre eigene Vergangenheit beschmutzt hätte.“

Das Nest Frauenschaft ist gut und unbeschmutzt. Zwei Photos in Scholtz-Klinks „Die Frau im Dritten Reich – eine Dokumentation“ zeigen sie mit dem Nest-Kranz unter einem Gesicht, das stereotyp als gläubig bezeichnet wird.
Hier flicht sie Wort-Kränze „ihren ehemaligen Mitarbeiterinnen in Berlin, den Gauen, Kreis- und Ortsgruppen“ indem sie sie grüßt. Kranz für Frauenehre, bedeutete doch Kranz, Kränzlein sintemal Jungfräulichkeit. Erst 1998 wurde das Kranzgeld (§ 1300 BGB) aufgehoben, das Recht der Braut auf Entschädigung, kam die Ehe nicht zustande und verfügte sie nicht mehr über das K. An Kränzchen, Kaffee-Kränzchen, haben die jungen, schneidigen Mädchen aus dem BDM gedacht, wenn sie „Frauenschaft“ hörten. Es waren 1939 32 Gaufrauenschaftsleiterinnen, 725 Kreisfrauenschaftsleiterinnen und 22.593 Ortsfrauenschaftsleiterinnen, denen sie vorstand. (vgl. S. 284)

Die höchste Widmung, der erhabenste Kranz, auf dessen Blatt GEDENKEN steht, wird den Frauen zuteil, „deren Männer in Nürnberg, Landsberg und vielen andern Straf- und Umerziehungslagern unserer Sieger ihr Leben für Deutschland lassen, oder lebenslange Schäden an ihrer Gesundheit davontragen mussten.“ Sie gedenkt ihrer in Ehrerbietung. Sie schließt das über 500 Seiten-Buch mit einem Hitler-Zitat, das im Stil eines herrischen Gebetes, den Herrn anspricht und Segen fordert. (Fusznote: das Buch, momentan nur antiquarisch erhältlich, erschien im rechtsextremen Grabert Verlag, Tübingen. Vater Grabert Nationalsozialist und Professor für „Weltanschauungskunde“ in Würzburg ab 1941 und ab 1945 Kämpfer für die Wiedereinsetzung der amtsenthobenen NS-Hochschullehrer, später auch für die Revision der dt. Kriegsschuld und aller übrigen Verbrechen, ab den 1970er Jahren hat sein Sohn Wigbert den Verlag, inzw. mehrere Verlage, übernommen. In den letzten Jahren mehrfach wg. Volksverhetzung verurteilt.)

Frau Stuckebrock mit dem Haar-Nest wurde 1948 verhaftet und wegen falscher Identitätspapiere zu 18 Monaten Haft verurteilt. 1949 verhörte sie die Tübinger Spruchkammer zu ihrer NS-Rolle und verurteilte sie zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. 1951 kam sie frei. Sie starb 1999 mit 97 Jahren.

Der Zopf ist die WEIBLICHKEIT. Die ist verzopft und für Gertrud war dies gewisz verknüpft mit der germanischen Göttin SIF, Gattin des THOR, die mit Haarflechten gedacht wird, in denen ihre Kraft und Ehre stecken soll, viel mehr gibt es über sie nicht zu wissen. Und dann ist Gertrud Gretchen. Der Gretchen-Zopf ist Krone edelster Weiblichkeit, seit Johann Wolfgang Goethe Margarete in ein „Kleine(s) reinliches Zimmer“ setzt. Abend. Weitere Anweisung: „Margarete ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.“ Dann zieht sie sich aus und singt. Sprechen tut sie: „Du lieber Gott! Was so ein Mann/ Nicht alles, alles denken kann! /Beschämt nur steh ich vor ihm da/ Und sag zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind,/ Begreife nicht, was er an mir findt.“ (Faust I, Zeilen 3211-3216, Hamburger Ausgabe)
Gertrud schweigt tief. Sie schweigt auf alle Fragen, gleich, ob wir nach Frisur oder Verbrechen fragen. (Sprechen tun Broschen, die sie verteilt: „Arbeit für Dein Volk adelt Dich selbst.“) Der Mann erst gibt ihr Worte, Worte, die wir gut kennen:
„Um uns herum in unseren wesentlichsten Entwicklungsjahren: Kampf, Haß, Dunkel – Hoffnungslosigkeit.
Bis eines Tages der Name Adolf Hitler in unser Bewusstsein drang – eines Frontsoldaten, der unser Volk wachrüttelte, uns Licht zeigte, wo wir nur Dunkel sahen, der uns nicht mehr aus der Hand ließ, und uns das gab, was ein Mensch damals dringender brauchte als alles andere: Selbstvertrauen, Glauben an eine Zukunft und den Mut zu diesem Glauben.“ (S. 28)

Nun erst fällt Licht auf sie. Sieh da, ein Mensch. Ein Mensch an der Hand.
Im folgenden Satz enthüllt sich das Weib, jenes Wesen, die theatralisch Zöpfe flechten, sich entkleiden, dabei singen. Im realen Leben eines Mannes bedürfen. Die Rede ist von Herrn Klink, Lehrer.
„So stand mein damaliger Lebensgefährte – aus dem Krieg zurückgekehrt – bald in den Reihen der nationalsozialistischen Mitkämpfer, bis ein Herzschlag bei einer Wahlveranstaltung seinem Leben im Frühjahr 1930 ein Ende setzte.“
Nun bedarf es eines dritten Mannes, nach dem Heiland und dem Gefährten Auftritt der Funktionär:
„Auf die Bitte des Gauleiters der NSDAP in Baden trat ich nun als Rednerin und zum Aufbau der Frauenarbeit an die Stelle meines verstorbenen Mannes.“ (auch S. 28)

Gertrud Klink erwies sich als ungeheuer ehrgeizig und als ideale Besetzung für die Partei-Frauen-Arbeit, da sie unbekannt war und in der zersplitterten Nazi-Szene über keine Hausmacht verfügte. Ihr Gauleiter: sie neige nicht zu „Streit und Händeleien“. „Und sag zu allen Sachen ja.“ Ebenso gut: als Witwe trug sie Namen und Samen des Nazi-Mannes weiter. Und noch besser: Sie hatte vier Kinder und verkörperte das Weibs-Leitbild.

Sie holte dabei auch gedanklich, (ob auch personell, habe ich nicht untersucht) die Frauenbewegung in die NS-Ideologie und Praxis. Scholtz-Klink legt dar, dasz Louise Otto-Peters (1819 – 1895, Mitbegründerin der ersten deutschen Frauenbewegung, 1849 Redakteurin der „Frauenzeitung für höhere weibliche Interessen“, in Haft, später Mitgründerin des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“) eine Vordenkerin des Nationalsozialismus gewesen sei:
„Wo das Wort „Recht“ von ihr gebraucht wird – und es wird seit der grundlegenden Schrift von 1866 „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ häufig gebraucht – hat es den Sinn von Lebensrecht, vom Recht auf Entfaltung der gottgeschenkten Kräfte, die zu nutzen Verpflichtung ist vor dem Vaterland.“
(…) Sie (Louise Otto-Peters) gab als „erste große Führerin der deutschen Frauenbewegung den Nationalismus und den gesunden Sozialismus der vormärzlichen Freiheitsbewegung als bestimmende und lebendig wirkende Kräfte für die Neugestaltung des Frauenschaffens in Familie und Volk.“ (S. 25)

Wen wundert es? Erstens ist weisz schwarz und Frau Frau. Zweitens dienen die Toten ewiglich und wir stehen auf den Schultern von Gröszeren. Jede Bewegung erfindet sich ihre Tradition. Die Volksgemeinschaft hat auch „endlich die Überwindung der alten unüberbrückbar scheinenden Kluft zwischen bürgerlicher und marxistischer Frauenbewegung“ (S. 145) erreicht. Der Nationalsozialismus bot vielen Einfaltspinseln und Spinnern Biotope. Im Zopfzeichen Geschichte vergegenwärtigen, oder:

Der Zopf ist die Gegenwart und die Geschichte. Landhausmode, Trachtenchic – das hervorragende Wissenschaftsgebiet der Frau ist die Volkskunde, eine junge Wissenschaft. Scholtz-Klink:
„Dabei kann sie aber der Hilfe der Frau nicht entraten. Denn als Hausfrau und Mutter ist sie weit mehr als der Mann Hüterin und Bewacherin alter Sitten und Werte. Ein Beweis dessen ist die Erhaltung der bäuerlichen Frauentracht in Gegenden, wo der Mann schon längst seine Kleidung der städtischen angepasst hat.
Das Sachgebiet „Volkstum-Brauchtum“ erfüllt an unseren Frauen die schöne Aufgabe, ihrem Tun und Walten wiederum den Tiefgang heiliger Vergangenheit zu verleihen, ohne darum die Heiligkeit der Gegenwart zu verleugnen.“ (S. 111)

Hier bedarf es lediglich einiger kleiner Änderungen. Walten weg und Heiligkeit heraus. Früher war doch das Leben irgendwie ganzheitlicher, nicht so schnelllebig und die Dinge waren gute Dinge, dauerhafte Dinge, die Geschichten erzählten. Hier müszte man stilistisch weniger eingreifen:
„Denn das Leben unserer Vorfahren war von einer wunderbaren Ganzheit getragen. Die Geräte des täglichen Lebens wurden nicht wie bei uns lediglich nach dem Bedarf angeschafft oder angefertigt.
Der Stab des Hochzeitsbitters, die Gaben an das junge Ehepaar, die Wiege, die Spindel, die Haube, die Lade, sie alle umgab das Geheimnis uralter Zeichen und überlieferter Bräuche.“ (S. 110)
Das sind die Möbel in der Stube. Die Hausfrau bereitet ein schönes Heim, das ist ewig wahr. Ziel und Grundlage ist die Weltanschauliche Erziehung, im Zentrum die Rassepolitische Erziehung. Womit wir wieder bei Natur und Ewigkeit angelangt wären, zu denen gehört, dasz Unerwähnte keiner Erwähnung wert sind. Die Haube, die Lade, der Zopf ist die Hälfte des Reichs, die andere ist das Blut. Blut als Metapher.

„Nationalsozialistisch denken, heißt ja von der Rasse aus denken, die Naturgesetze des Blutes kennen, verstehen, achten, ihnen als einzelner und als ganzes Volk gehorchen.“ (S. 108 erschienen 1938)
An die Zopf-Frau denken, heiszt vergossenes Blut nicht zu vergessen, obwohl sie es nicht selbst vergosz und auch das vergasz. (Ihre sechs Geburten einmal ausgenommen.) Das dicke Blut bleibt dick: In einer 2005 erschienenen Dissertation über sie heiszt es: „Besonders markant ist, dass in Scholtz-Klinks Äußerungen nach 1945 Antisemitismus viel offensichtlicher zutage tritt, als dies in den öffentlichen Verlautbarungen ihrer Funktion als „Reichsfrauenführerin“ der Fall gewesen ist, in denen lediglich antisemitische „Untertöne“ auszumachen waren.“ (Christiane Berger, S. 120)

Der Zopf ist der STAHLHELM. Bevor er Topf wird. Wir kennen es aus dem städtischen Museum, Granaten als Kocher, der Fallschirm wird Brautkleid, die Uniform Zivilkleidung. Doch darum geht es bei Gertrud mit dem Zopf nicht.
Pendant zum Zopf-Topf auf dem Kopf ist der Stiefel, allgegenwärtiges Attribut der Nazi-Macht, auch Frauen stand er zu Gesicht.

Der SPIEGEL weisz es im März 1948 noch ganz genau, in späteren Texten ist es vager formuliert: Scholtz-Klink soll am Berliner Volkssturm teilgenommen haben, soll verwundet worden sein. Hier fokussiert das immer an Details und Witzigkeiten interessierte Nachrichtenmagazin die Statik der Vereinbarkeit von Haar und Stahl: „Mit wackelndem Stahlhelm auf den traditionsgemäß zum Dutt geflochtenen Zöpfen (war sie) im Tarnanzug, mit angeschnallter Pistole.“
Stahlhelm und Zopf, Scholtz-Klink transzendiert die Geschlechtsrollen, läszt die eigenen Rollen liegen, zieht los, die Frau ist das Hinterland des Krieges, die Konsequenzen, da ein Hinterland nicht mehr existiert. Vor der Spruchkammer am 17.11.1949:
„Wir beschlossen, uns von dieser Einheit zu trennen und zu versuchen, nach der Reichskanzlei zu kommen, um mit dem Führer den letzten gemeinsamen Weg gemeinsam zu gehen.“ (zit. n. Chr. Berger, S. 199)

Alle anderen sind Verräter. Auch ihr Mann denkt so. Wieviele Führer-getreue Mädchen und Knaben, BdM und Napola, sie um sich geschart haben, als sie (der SPIEGEL liesz es sich berichten) Ende April 1945 die russischen Linien bei Witzleben durchbrechen, wird nicht eruierbar sein. Doch wer nahm Gertrud, die sich nun Maria nannte, im (ehem.) Kloster Bebenhausen bei Tübingen auf? Eine echte Prinzessin, Pauline zu Wied, Tochter des letzten Württembergischen Königs, Parteimitglied seit dem 1.1.1932. Die Fürstin wurde dafür 1948 vom franz. Militärgericht in Ludwigsburg zu einer Geldstrafe von 25.000 Mark verurteilt.

Womit die Geschichte zwischen Märchen und Kriminalgroteske oszilliert.
Zuletzt ist der Zopf die TARNKAPPE. Nach dem Stahlhelm die Namens-Tarnkappe Maria Stuckebrock. Im Märchen trägt die Tarnkappe der böse Zwerg, der raffinierte Ritter, der verwunschene Prinz, unklar ist, ob die Tarnkappe selbst sichtbar ist. (Unter der Tarnkappe die Schuld.) Stellen wir uns ein olivfarbenes Schiffchen vor, über allen schwebend, die nach 1945 schuldunfähig waren, die Kapazitäten der Textilfabriken der Vereinigten Staaten von Amerika hätten nicht ausgereicht, alle Deutschen zu versorgen. Der Zopf scheint noch immer die reellste Tarnkappe zu sein, wofür zwei aktuelle Begebenheiten bzw. gehörte Annahmen sprechen. Die einzige weibliche Angeklagte der Nürnberger Ärzteprozesse, Herta Oberheuser (1911 – 1978), Trägerin der Kriegsverdienstmedaille, Spezialistin für Vivisektion, die 1941 bis 1943 medizinische Experimente und Tötungen an jungen Polinnen im KZ Ravensbrück vornahm, bezeichnete sich, ebenso wie die männlichen Angeklagten, allerdings knapper als diese, als „nicht schuldig.“ So soll sich Herta Oberheuser, so hörte ich in einem Rundfunkbeitrag anläszlich der Eröffnung einer Dokumentation über die Nürnberger Prozesse, auf ihre Weiblichkeit berufen haben; Frauen seien gar nicht zu so grausamen Taten fähig. Die Prozeszunterlagen ergeben folgendes:
Die Frauen, an denen sie grausamste Versuche vornahm, bezeichnete sie vor Gericht einerseits, wie damals im Lager, als „Kaninchen“ andererseits gab sie an, „zum Wohl der Patienten“ gehandelt zu haben. Niemals habe sie selbständig gehandelt. Nun aber die Gretchen- die Weibchenfrage. Mindert Zopf Schuld (Fräulein Oberheuser, so die Anrede, trug einen Dutt)?
Dr. Oberheuser hat das so nicht gesagt. Der Satz ihres Schluszplädoyers ist gewundener:
„Ich habe bei meiner therapeutischen Betreuung nach den schulmedizinischen Regeln als Frau in meiner schwierigen Lage alles getan, was ich tun konnte.“
(zit. n. Ebbinghaus, S. 227)

Ich als Frau. Geständnis als Maskerade. Sprachlich ebenbürtig die Bildunterschrift unter Faschings-Fotos: Ich als Zigeunerin, Ich als Prinzessin.

Oberheuser wird zu 20 Jahren verurteilt, von denen sie sieben absitzt und danach weiter als Ärztin praktiziert. Die männlichen Angeklagten werden zum Tode oder zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
So stellen wir uns schuldige, böse Frauen vor, die sich uns als helfende, in schwierigen Situationen befindliche Frauen vorstellen. Nicht uns, dem Gericht.
Das 1987 erschienene Buch von Angelika Ebbinghaus „Opfer und Täterinnen“, mit Herta Oberheuser gesenkten Blickes, mit Kopfhörer und weiszer Schleifenbluse auf dem Einband war Meilenstein, Wendemarke wie immer diese wichtigen Werke genannt werden. Neben Oberheuser ein GI mit Helm-Verschattetem Gesicht. Wahrscheinlich der Moment der Urteilsverkündung.
Wie anders das Bild der Gertrud Scholtz-Klink.

Allerletztens könnten wir noch eine HAARNADEL in die Haarburg hineinstecken, müssen es wahrscheinlich sogar, sonst fallen die Flechten, was sofort einen liederlichen Eindruck machen würde. Die sog. Lebensrune war das „Logo“ der NS-Frauenschaft. Das Zeichen sieht aus wie ein Plastikgäbelchen, mit dem Pommes oder Currywurst aufgespieszt werden. Ein senkrechter Balken, von dem oben rechts und links zwei kleinere Balken abgehen.
Scholtz-Klinks Buch „Die Frau im Dritten Reich“ endet mit einer Photographie einer jungen Frau, auf deren Schulter ein Kleinkind sitzt, das die Arme neben dem dicken Kopf hält, Mutti schaut nach oben. Bildunterschrift: „Junges Leben (Die „Lebens-Rune“ ? )“

2. Das Komplementier

Denn so tief unten und so naturgemäsz und so angewiesen ist die FRAU, dasz wir sie getrost das Komplementier nennen können. Das Tier friszt und friszt, geht auf und gedeiht in seiner Angewiesenheit auf den Herrn und Meister. Der Pferch ist so schön wie unsichtbar, er ist die Ideologie von der Ergänzung der Geschlechter. Der Sockel ist die Ungleichheit, der Bogen drüber die Gleichwertigkeit und die Andersartigkeit. Das Komplementier addiert sich hinzu, stützt, schirmt ab, scharwenzelt, gefällt, macht Männchen vor dem Mann.

Ich will Dich erhöhen qua Erniedrigung spricht die Führerin. Wobei Du ja ohnehin blosz erhöht werden kannst, die Fremdvölkischen einmal weggedacht.
Scholtz-Klink 1934:
„Nehmen wir sie nun noch bei ihrer tiefsten Kraft – bei ihrem Muttertum – an dem wir ihr am deutlichsten klarmachen können, wie stark sie als Glied in der Kette ihres Volkes steht, dann merkt sie eines Tages von selbst: Ich bin ja selber Geschichte! Und es überfällt sie die tiefe Erkenntnis: was heißt denn Volk? Volk bin ich! Und dann versteht sie unsere nationalsozialistische Forderung: dass das kleine eigene Ich sich diesem großen Du – Volk – unterordnen muss!“ (Reichsparteitagsrede 1934, aus, „Die Frau im Dritten Reich“, S. 501)

Hier also: Volk gleich Mann. Die Frau, die kleine Frau behebt die Not am Mann und tröstet und schmiert Stullen für Fritzchen und Front. Zum geplanten Fronteinsatz kommen die von Scholtz-Klink mitorganisierten Wehrmachtshelferinnen übrigens nicht mehr. Hellsichtig dazu Ende der 80er Jahre Christina Thürmer-Rohr, Rock-Musikerin und Uni-Professorin in Berlin, in ihrem Essay „Aus der Täuschung in die Ent-Täuschung – Zur Mittäterschaft von Frauen“:
„Frauen haben eine ihrer wesentlichen historischen Aufgaben, die das zivilisierte Patriarchat an sie delegiert hat, mit Erfolg erledigt, nämlich Sicherheiten und Täuschungen aufrechtzuerhalten.“ („Vagabundinnen“, S. 49)
Es ist alles gut oder wer weisz wozu’s gut war oder wird schon wieder heile heile Segen – Thürmer-Rohr: „Auf diesem Hintergrund konnten sich Männer ihren Ritt ins Desaster, ihre moralische Pleite und Verrottung leisten.“ (S. 50)
Der Begriff ist 25 Jahre später obsolet, bevorzugt wird die „Täterschaft“. Erscheinungsform der Mittäterschaft sei gerade die Ideologie vom handelnden Mann und der behandelten Frau – die Verknüpfung von Autonomie und „Opferthese“ sei der Frauenbewegung der 1980er Jahre zur Falle geworden.
Einen eigenen Mutterkult leistete sich die Bewegung damals auch; heute ist der allgegenwärtig und damit unsichtbar. Dies die assoziative Überleitung zur selbstbewuszt klingenden Scholtz-Klink im Interview mit Claudia Koonz 1994:

„Ihr habt es mit euren ganzen feministischen Bestrebungen erreicht, daß jetzt ein paar Frauen irgendwo an prominenter Stelle sitzen. Aber habt Ihr in irgendeiner Weise an das Leben der normalen Durchschnittsfrau gerührt? Wir haben das getan. Man muß damit anfangen, Einfluß auf das alltägliche Leben der Frauen zu nehmen. Und die Frauen leben immer noch wie damals für ihre Familien. Ihr jungen Frauen wisst ja gar nicht, was das heißt, eine eigene weibliche Welt zu schaffen.“ (zit. n. Berger, S. 145)

Deshalb erkläre ich das jetzt noch kurz:
Die eigene weibliche Welt für die eigenvölkische, also rassisch geprüfte und gutgestempelte Frau, also das Komplementier war eine Neue Dritte Welt, Wortspiel: ein Drittes Reich, zwischen dem Bürgerlichen und dem Proletarischen. Zwischen bürgerlicher, bildungsgestützter Emanzipation und weiblicher proletarischer Erwerbstätigkeit. Das Idol ist und bleibt der Mann und das Bild von ihm wurde Mädels wie Jungs eingebrannt.

3. Das Frauenschaftskleid

Für das Kind, das ich war, türmte sich das erstmals gehörte Wort Frauenschaft auf wie eine Säule, Schaft der Frauen, Heimarbeit, Aufrichtung, damit muszte es zu tun haben und wurde bald dunkelblau angestrahlt durch abgefeuerte weibliche Worte dazu, die Mutter, die Groszmutter, ein Wort aus ihrem Reich, frag da nicht weiter Kind, was wortlose Botschaften waren, es war einmal, hatte aber den verbotenen Reiz des Gewesenen, nicht den Glanz des Märchen-Möglichen. Frauenschaft ohne Männerschaft, Frauenschaffen gab es auch, ach, heute wieder gar nichts geschafft, was von Stöhnen begleitet wurde. Schaftstiefel gehörten zur männlichen Garderobe, hieszen aber eher Knobelbecher, wobei auch hier das Wort das Ding weit überragte.
Frauenschaftskleid. So assoziierten Groszmutter und Mutter in einer erinnerlich gebliebenen Mixtur aus Verschämtheit und Frechheit angesichts einer Versandhauskatalog-Abbildung eines knielangen, dunkelblauen Kleides mit kleinem weiszem Kragen. Eine Erinnerungsinsel des Kindes, das ich war, um die herum sich bei Kurzkonzentration noch Details der väterlich-groszelterlichen Wohnung ausmachen lassen: in der Stube ein Teppich, dessen Fransen das Kind mit einem eigens dafür bestimmten Kamm kämmen durfte, dunkle hochlehnige Stühle, von denen sie später hörte, dasz sie „Worpsweder“ genannt werden, Gläser hinter Glas in einem immer geschlossenen, gewaltigen Möbel mit gedrechselten Rosen auf den Türen, ein Photo mit einem Mann in Pickelhaube, der angeblich mein Groszvater war; die Groszmutter kochte auf einem echten Herd mit Eisenringen, den das Kind niemals anfassen durfte. Kleinbürgerliche Welten, wer weisz, ob diese Dutzenderinnerungen an den Beamtenhaushalt wirklich die eigenen sind oder gehörte und inkorporierte.

Die Groszmutter, Jahrgang der Frauenschaftsführerin, strickte meisterlich, las Illustrierte mit Nachrichten über Fürstenhäuser, mochte keine weiblichen Kinder, war in der „Frauenunion“, was das Kind nicht mit einer politischen Partei zu verbinden mochte, sprach von „Judenschule“, wenn es ihr zu laut war und riet später dem Bruder zum Dienst in der „Wehrmacht“. (Am liebsten aber sprach sie von Lebensmittel-Preisen.) Ich stelle mir vor, dasz sie auf die Frage, was die zum Kleide dazugehörige Frauenschaft denn sei, keine befriedigende Antwort geben wollte und konnte. Für die Mutter, die 1933 eingeschult wurde und sich damals als gut Dreiszigjähre emsig-erfolglos um die Schwiegermutter bemühte, musz das Frauenschaftskleid ein textiles Symbol für die Hausmuttchenhafte Seite des Nationalsozialismus gewesen sein, Kaffeeklatsch unterm Führerbild, Sockenstricken für die Ostfront während die Jugend, zu der sie zählte, wiszbegierig, modern, sportlich, aufbrachen mit dem Bund deutscher Mädel in Zeltlager und ganz gleich in die KLV, spottend über die Frauenschafts-Sparte „Glaube und Schönheit“ als „Religion und Kosmetik“. Das Frauenschaftskleid war etwas ganz gebliebenes, während die eigenen braun-weiszen Uniformteile zusammen mit dem Schulgelernten, den Liedern und Idealen Schutt waren, allenfalls neu zusammengesetzt weiter existieren konnten und noch Jahrzehnte später aus diesem Schutt Disparates, Schuldbehaftetes auftauchte.

4. Täterschaft und Opferschaft (Schlusz)

Als ich einer Gruppe von Historikerinnen und Historikern, von Museumsleuten und Schreibenden die Projektskizze Scholtz-Klink mit dem Arbeitstitel „Eine böse Frau“ vorstellte, stiesz der Titel auf Widerspruch. Woher ich wisse, dasz es eine böse Frau gewesen sei? Was sie getan habe? Wie die Kinder ihre Mutter gesehen haben. Ob ich nicht die Enkel interviewen wolle? Nach Brüchen solle ich suchen. Spontan fanden sich beflissene Pflichtverteidigerinnen und Verteidiger für eine Frau, von denen einige das erste Mal hörten.

Biographie als Spiel, die Bausteine sind Erwartung und Überraschung und wir türmen beide aufeinander. Das ist der tiefe Sinn dieses deutschen Volksspieles der postvolksgemeinschaftlichen Spielgemeinschaft. Die NS-Verbrechen und ihre Urheber sind zwei verschiedene Steinchen. Da haben wir ein rotes und ein blaues Steinchen oder ein weiszes und ein schwarzes. Nennen wir das rote oder das schwarze Verbrechen und das blaue oder weisze Mensch. Die Teile sind ja verschieden, passen nicht zusammen, na so was! Man und frau staunt Bauklotz.
Was sonst, wenn nicht eine liebe Groszmutter, eine sorgende Gattin, eine nette Nachbarin kann Scholtz-Klink denn gewesen sein?
Ein Lieblingsspiel mit erwartbarem Resultat, ein Spiel, das mit Schuld und Ehre spielt und wahrscheinlich Versöhnung will. Die Söhne und Töchter der Schuldigen und der Schuldlosen spielen, die Ahnungslosen spielen, die Spieler spielen. Was sie spielend nicht vermögen, ist, den Abgrund zu überbrücken zwischen Massenmord und Einzelmensch.

„Ein böser Zopf“, so lautet der überarbeitete Titel dieses Textes. Denn das Böse ist nicht, es vollzieht sich im Handeln und Denken und Nicht-Handeln und Nicht-Denken. Ich schrieb nicht über Scholtz-Klink, unternahm keine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ich hantierte blosz mit Bruchsteinen der Überlieferung Scholtz-Klink. Ein anderes Spiel.

Zurück auf Los mit unsern Steinchen. „Was hat sie denn getan?“
Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen und zielt auf Mord- und Totschlags-Tat-Abstand. Klassisch Kriminalfall-kriminell: Stumpfer Gegenstand, Schuszwaffe, Gift.
Klassischerweise hinter Milchglas, gepixelt oder sonstwie in wolkige Ferne gerückt: Mitgliedschaften, Bücher, Reden, Akten, Worte – kurz: Sprache.
Eine Variante des Stoszseufzers der Kleinen: Die Kleinen hängt man, die Groszen läszt man laufen? Was aber ist klein, was grosz?
Legen wir Knarre und Wort nebeneinander zieht die Knarre den Kürzeren, am Anfang war das Wort und das Wort erschuf alles weitere, Mord inklusive.
(Die Männer der Tat und der Gewalt, die der Erschieszungskommandos und der Lager, beriefen sich vor Gericht, in der Absicht, sich klein zu machen, immer auf den Befehl und ersannen den Befehlsnotstand.)

Mindert Zopf Schuld? hatte ich rhetorisch im Abschnitt TARNKAPPE gefragt. Scholtz-Klink zitiert nach der Schilderung ihres Schicksals – das „trotz aller Mannigfaltigkeit weitgehend deutsches Allgemeingut geworden“ und dasz sie daher ihren „eigenen Anteil nur als Symbolwert für tausende anderer deutscher Frauen und Männer“ sieht: „6 Monaten auf der Landstrasze auf der Suche nach den Kindern, 18 Monaten im französischen Militärgefängnis und 2 ? Jahren Internierungshaft“ besteht (S. 481) – danach also zitiert sie die Begründung der Spruchkammer für die Urteilsführung: „Mildernd wurde in Betracht gezogen, daß die persönliche Lebensführung und charakterliche Haltung der Betroffenen einwandfrei waren, daß sie sich in manchen Fällen für politisch Verfolgte eingesetzt hat, daß ihr persönlich jede Gehässigkeit fremd war und eine gewalttätige Haltung nicht zugetraut werden kann, daß sie sich in ihrer politischen Arbeit vorwiegend mit den hauswirtschaftlichen, sozialen und karitativen Aufgaben der Frauen befasste und daß sie auch in ihren Reden im wesentlich sachlich blieb.“ (S. 482 – Anmerkung: Internierungshaft nicht abgesessen, vorher mit falschen Papieren untergetaucht, daher verhaftet.)

Es fällt uns am Schlusz eine Nadel aus dem Text, eine Nadel, die alles zusammenhält, das Buch von Scholtz-Klink ebenso wie Weib und Nazi-Glaube. Das ist der Begriff des Opfers. Widmung wie Epilog der „Frau im Dritten Reich“ wenden sich an die Opfer – der Nürnberger Prozesse bzw. als Gradmesser der Stärke: „… stark im Ertragen aller Opfer“ die frau bringen will.

Das meint das Selbstopfer, davon abgespalten ist das Fremdopfer, fremd, besonders, wenn man selbst es geopfert hat. Fremdopfer und Selbstopfer, die Wörter einmal durch den Phono-Generator geschickt, klingen neu und fremd: Fremdopfer und Selbstopfer könnten Gerätschaften sein eines Wäschetrockenplatzes, Spielen verboten, Sand und Grasbüschel zwischen grauen Mietshäusern, Klopferopfer auch genannt, zweite, innerhäusliche Möglichkeit: Socken auf dem Küchentisch, Wachstuch und Ofenrohr, die Socken warten auf den Stopferopfer, über den sie gespannt werden.

In diesem Milieu und in anderen auch gedieh, gedeiht und wird sie gedeihen, die weibl. Opferwilligkeit. Mutti hat es gern getan, wenn’s Euch nur gut geht – der Lacher in Comedy und Coffeeshop. Wenn Verbalinjurien etwas verraten, dann ist die O-Zeit endgültig vorbei: Hey, Du Opfer!

Anders sieht es in der gröszeren Gosse aus. Der Opfer-Ton herrscht vor, stellt vielleicht eine Fortsetzung des o.g. Milieus dar, wichtig bei Gesängen um Flucht, Vertreibung und Luftkrieg ist erstens die Einzigartigkeit des Eigenen O’s und zweitens die Behauptung, nicht über dies O. sprechen zu dürfen. Wir Opfer ist die grosze Oper, die grosze Arie, der Vorschlaghammer, dessen Zwingkraft aus der Wurzel des Holzes rührt, aus dem der Stil geschnitzt: frühmittelalterlich Opharon, ein religiöses Opfer darbringen. Gott braucht es nicht und es braucht keinen Sieg. Es ist sinnlos wie das Leiden. OPFER ist Stück vom Kern der Weiblichkeitsideologie. Die Zopffrau ist unsre Frau im Kleinen wie im Groszen. Denn das ist der ganze Glanz : das OPFER ist entscheidend, die Grösze liegt in ihm oder ihr, nicht im Sieg und nicht im Ende. Was die Nazis am besten wuszten und das zu vergessen würde ich mir sehr wünschen.

Geschrieben für den Salong! Böse Frauen am 1. März 2011 im Haus 3