Glück

Das Leberwurstbrot – Drei Häppchen zur Erregung öffentlichen Appetits

Die Leberwurst musz dringend in einen kontrastierenden Kontext gestellt werden: Schinken war und ist Oberschicht, Leberwurst ist Stulle in Brotbox, Schinken geht zum Empfang und Event, legt sich auf Canapees und wird Fingerfood, derweil Leberwurst zu Hause bleibt oder im Rucksack reist. Schinken rühmt sich des Rauchs und des Alters, er ist fotogen – während die Wurst ewig die Rätsel von Provenienz und Substanz umwehn.

1. Was ist die Leberwurst, um die es geht?

In was für einer Welt leben wir hier eigentlich?
Nur in der WELT und auf einem gemeinsamen Grund, einem Landstrich, in dem die Uhren gleich ticken, Ortschaften, in denen Menschen vor Türen stehen und gleiche Laute ausstoszen und leise hinter den Türen tun, was wir nicht wissen, was aber nicht erheblich ist für unseren Fall, in dieser Welt, die der Fall ist, alles der Fall sein kann, jeder fallen oder erhoben werden kann, jeder Fall potenziell strittig ist, einer Welt also, in der mehrheitlich das gleiche Metermasz in Anschlag gebracht wird, darüber hinaus alles oder mehrheitlich alles strittig, bestritten, streitbar oder streifig und von daher unschön und zwar aus Gründen der Molluskenhaftigkeit der Leute, der grauenhaften Kontingenz und der vielen Stellen, von denen aus alles betrachtbar ist, knapp: Heimat und Heimlichtun, Zufall und mehrere Blickachsen, nur von dieser WELT aus also können wir loslaufen, zu erkunden WAS die Leberwurst ist. Und wir können und sollten es tun, indem wir von Ding zu Ding springen, vom Tisch zum Bett zum Schrank, dies nur bildhaft gesagt, indem wir uns mit der Liane schwingen von Ding zu Ding. Mit denen ist es so: eins wird immer gegen ein anderes gestellt, andersartige, bzw. gegenteilige Teile: schwarz/weisz, grau/bunt, Mann/Frau, Ordnung ist ordentlich und wie sollen wir sonst irgendwas erkennen in dieser Suppe, metaphorisch gesprochen. Die Leberwurst ist das Gegenteil von Schinken, das Gegenteil von Roastbeef, das Gegenteil von Käse, das Gegenteil von veganer Paste, das war’s schon, denn wir wollen auf dem Tisch bleiben.

Die Leberwurst bleibt zu Hause – oder reist allenfalls in der Brotbox

Schinken war und ist Oberschicht, wo Leberwurst Stulle in Brotbox ist, Schinken geht zum Empfang und Event, legt sich auf Canapees und wird Fingerfood, derweil Leberwurst zu Hause bleibt oder nur im Rucksack reist oder mehr noch reiste. Schinken rühmt sich des Rauchs und des Alters, er ist fotogen und man weisz, wo er herkommt, physisch hinten rechts oder hinten links, geographisch am liebsten aus dem Mittelmeerraum. Ewig umweht die Wurst das Rätsel von Provenienz und Substanz („Der Inhalt einer Worscht bleibt ewig unerforscht“), frisch hätten wir sie gern, als Heimat gern die Pfalz, Pommern oder den Gutshof, wobei es sich hier um mental-sentimentale Landschaften handelt. Schinken ist Anspruch, Leberwurst greifbare Erfüllung. Der Anspruch des Schinkens zielt auf Zähne, Portemonaie und auf Werkzeuggebrauch. Schinken ist Cultur und Erwachsen-sein, Leberwurst Volk und Mus. Schinken ist Ernst, Leberwurst ist gut für einen Lacher. Schinken ist das Pure, (wahlweise erhöhbar: Reine, Echte, Wahre), die Leberwurst das Vermischte: auf der Schachtel „Pommersche Gutsleberwurst“ der Rügenwalder Mühle, in deren Logo zwei gestreckte Würste die Windmühlenflügel bilden, lesen wir bei der gesetzlich vorgeschriebenen Zutatenliste: Schweinefleisch (49 %), Schweineleber (24 %), Speck, Schnittlauch (6 %), jodiertes Kochsalz, Gewürze, Emulgator: Lecithine, Zucker, Antioxidationsmittel: Ascorbinsäure, Konservierungsstoff: Natriumnitrit, Aroma, Rauch. Verbraucherfrage: Was macht Rauch hier zu einer Substanz?

Die Leberwurst wanzt sich beim Frischkäse an

Zwei Fusznoten: Erstens: Die Pommersche Leberwurst kommt neuerdings im Töpfchen daher, hat sich aus ihrem traditionellen Darmkleid befreit, wohl um mitzuspielen in der Frischkäse-Liga, ihre tierische und kalorisch schwere Herkunft gleichermaszen verleugnend. Zweitens: Leberwurst-Aristokratin ist die Kalbsleberwurst, gegen die immer wieder der Vorwurf erhoben wird, sie enthielte keine Kalbsleber. Was zutrifft. Kalbsleberwurst hat das nie behauptet – Kalbfleisch enthält sie.
Kommen wir zum zweiten Hetero-Paar, aufsteigend auf der Linie der Differenz stehen sich vis à vis Leberwurst und Roastbeef. Wir können uns kurz fassen: Schwein gegen Rind, schierer Braten gegen Kochmasse, dort läuft das Blut, hier das Wasser im Munde zusammen beim Geruch der Leberwurst (Ma-Jo-Ran!), den zu beschreiben groszen DichterInnen oder den TexterInnen der Werbeagenturen ansteht und stünde.

In der Werbung glückliche Leibeigene

Drittens Leberwurst und Käse, bei dem sich, denken wir an die Rügenwalder Wurstmühle, ist sie in der TV-Werbung nicht umlagert von glücklichen Leibeigenen in Wickelkleidern? Die sich, vgl. Plasteschale, beim Frischkäse anwanzt. Carni-Voren vs. Lacto-Vegetarier, Tot-Tier vs. Tierische Tiernahrung. Der Mensch als Kalbnachfolger, wiewohl das Kalb seine Milch nicht wiedererkennen könnte. Ist halt Kultur, pasteurisiert oder nicht. Leberwurst und Käse sind Minderheit und Mehrheit, Leberwurst ist Leberwurst – aber wer kennt die Namen, kann sie gar aussprechen, der leuchtenden Käsespezialitäten von Kuh, Schaf, Ziege am Horizont der Schlemmertheken, Märkte, Paradiese.

Die Leberwurst bleibt Kind

Als die Leberwurst Kind war und wir mit ihr, sie blieb es ja in gewisser Hinsicht, da gab es faden, ja schmierig zu nennenden Gouda, es war die Zeit der quadratischen dunkelgelben Schmelzkäsescheiben und silbrig eingesargten Schmierkäsedreiecke, auch Flugzeugkäse genannt. In Vertreter-Hotels in mittelgroszen Städten liegen die noch heute – neben Nusznougat-Portions-packungen und neben Mini-Leberwürstchen in Spankörbchen.

Letztens und am schwierigsten zu denken ist die Gegensätzlichkeit und das In-Eins-Fallen, die Infizierung der Antagonismen im Paar Vegane Paste und Leberwurst. Freunde der Leberwurst (in der Schweiz hat es einen eingetragenen Verein dieses Namens) blaffen innerlich oder auch nach Auszen: Was soll das denn? Was isn da drin? Wozu? Genau, wo es doch die Leber-wurst gibt. Leberwurst gleich Fülle des Lebens, Paste gleich ohne Fleisch, ohne Ei, ohne Milch, ohne Gluten, ohne Lactose, ohne Cholesterin, ohne Nüsse übrigens auch. SOJA, ein Produkt fremder Kulturkreise, von dem die meisten nicht wissen, wie es ausschaut, ist drin. Paste versus Leberwurst, diese Spannung wird aufgehoben durch „Brotaufstrich nach Art Pfälzer Leberwurst“ der Firma Berief aus dem Schweinezucht-Landstrich Beckum in Westphalen.

Fazit: Leberwurst ist stark und bedrängt, geheimnisvoll und urwüchsig, Schwein und unrein.

2. Die Familienaufstellung

Für ein gesamteuropäisches Tableau haben sich die rotgesichtigen, stämmigen, Westen und Strickjacken tragenden Gestalten versammelt, die die  europäischen Leberwurstspeisen vertreten. Unter einer mächtigen Eiche ruht ein knollennasiger Mann in grüner Tracht, über einen hölzernen Steg schreitet eine Magd mit irdenem Krug, hoch steht der Weizen, Stare schwärmen, irgendwo ist Kirchweih, der Wind trägt Gelächter und Blechmusik trägt herüber.
Da ist Hans mit der Gans, nach dem Gänseliesel suchen wir gleich, hier sind versammelt und durch Blickbeziehungen zueinander kenntlich, die Gänseleber und die Stopfleber, die Paté und der Leberknödel, der Leberkäs und die Leberterrine versammelt. Auf blauem Laken und beleuchtet von täglichen Sommersprossen und nächtlichen Leberflecken klären sie ihre Beziehungen.

Wurst-Moden: Lorbeerblatt überm Bauch und Darm-Leggings

Die Paté verhält sich zur Wurst, die wir getrost Paste nennen könnten, wie die Dame zur Magd, wie die Tunte zum Bauern. In einem bequemen Glas lagert sie, ein Lorbeerblatt überm Bauch, angetan mit Preiselbeerschühchen und einem Orangenscheiben-Hut. Die Wurst dagegen im Darm-Legging und nun wartet alles auf den Linienrichter, Teewurst-Therapeut und Ritter der Leberwurst, Orden noch aus der Zeit der Kreuzzüge, der jedoch seinen Ursprung in antiken und mythologische Zeiten verortet. Da war der Ritter der Leberwurst (RDL) der Nachkomme des Prometheus, der einst angekettet am Kaukasos zappelte und erdulden muszte, wie Obergott Zeus Vögel schickte, die täglich von seiner Leber fraszen, die sich aber nächtens regenerierte. RDL also auch ein INRI der Leberwurstproduktion, Schmerzensmann der Innereien-Paste. Was wird der Ritter sprechen, vielleicht zurückgekehrt aus dem Kampf gegen die Rügenwalder Mühle, s.o.? Ihr beide seid Schwestern, jawohl, Fleisch von meinem Fleisch und meiner Leber, vertragt Euch gefälligst! Da motzte Paté und Paste, da heulte Leberkäs und blubberte Leberterrine. Stumm blieb der Leberknödel und also sprach RDL: Schaut auf diesen Knödel! Wieviel Stärke und Grösze in ihm leibt und lebt und lebert! Auch er ist verletzt, tief verletzt in seinem Inneren, ein Kind, das nicht gewollt war, ein unrunder Klosz, der von den Mitklöszen verspottet und ausgestoszen war. Doch er schreit seinen Schmerz nicht heraus, er nicht! Schaut auf diesen Knödel und erinnert Euch, wie Ihr früher mit ihm umgesprungen seid! Da schwiegen alle stille, alle Eingeweide, alle Hirten und Hunde, Damen und Herren. Es trat hervor aus dem Dreieck von Leberkäs und Pastete die Paté und bekundete, ihre Gefühle kaum bemeisternd: „Ja, ich gebe es zu, auch ich war dabei, ich oder eine, die ist wie ich, eine, die vor mir kam, ich oder sie sah, wie der Leberknödel im groszen Biersee versank und nie wieder hochkam. Es war Mord!“

RDL gelang es in dieser Sitzung, die frühere Ordnung wiederherzustellen, alle miteinander auszusöhnen und schlieszlich gemeinsam am Bier, das doch schlieszlich durch alle Anrainerstaaten flosz, zu nuckeln.

3.  Die Zukunft der Leberwurst

Herzlich Willkommen, meine sehr verehrten Damen!

Mein Name ist Dr. Aloisa Burgmüller und man hat mich gebeten, zu Ihnen zu sprechen über die Zukunft der Leberwurst.

Die Leberwurst-Krise ist da, keine Frage. Skandale, Wellness und Lite-Lifestyle, Vegetarismus, Globalisierung und nicht-deutsche Küche – all diese Phänomene haben unsere Leberwurst an den Rand gedrängt. Sie ist beleidigt – und das zu Recht. In Zeiten der Krise beschwören wir das Gemeinsame, unser aller Verantwortung und das Rettende! Aus dieser Krise eine Chance machen und Sie wissen: Das ist eine weibliche Spezialität. Schon, weil Frauen nur in Zeiten der Krise oder auf sinkenden Schiffen Chancen erhalten.
Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, wieviel Weisheit unsere geliebte deutsche Sprache und die alten deutschen Redensarten enthalten?
Ganz bewuszt habe ich das eben gesagt: Die Leberwurst ist beleidigt. Meistens sagen wir es ja blosz so dahin. Aber: wenn wir etwas wirklich meinen, sprechen wir frei von der Leber weg. Und wenn wir (neudeutsch) psychisch indisponiert oder frustriert sind – ja, dann ist uns eine Laus über die Leber gelaufen. Manchem friszt es auch an der Leber, oder es drückt ihm auf die Leber.

In der Leber wohnt die Begierde

Die Leber kommt gleich nach Hand-Herz-Hirn, Reime fallen mir nicht soviele ein dazu aber die eminente Bedeutung der LEBER in der alten Medizin, deren Erkenntnisse bis vor einigen Jahrhunderten gültig waren und deren Nachhall sich bewahrt hat in Redewendungen. Nach Platonischer Vorstellung gab es drei Seelenteile  – Vernunft, Trieb und Begierde. Letzterer wohnte in der Leber. (Der Trieb im Herzen, die Vernunft im Oberstübchen.) Von den vier Körper-säften flosz hier die Gelbe Galle, die den Choleriker auszeichnet. Nach Galen das „Pneuma physikon“, zuständig für die Blutbildung.

In der schmerzfreien Leber also haust das Verlangen, die Begierde. Das „Es“ der Organe, freudianisch gesehen. Schmerz nicht, aber Leid geht aus und ein in die Wurst, was soll uns das sagen? Ich weisz es nicht, keine Ahnung. Ich kann dazu auch gar nichts sagen, mich hat das unglaublich gekränkt, dasz das heute jemand zu mir gesagt hat, Sie beleidigte Leberwurst und wenn ich etwas nicht leiden kann, sind es Vergleiche aus dem Tierreich oder eben das mit „beleidigt“. Dabei habe ich lediglich angemerkt, dasz ich jedesmal einspringen musz, wenn Herr Dr. Woyschmann mal wieder krankheitsbedingt ausfällt, die eklige alte Saufnase, aber wem sag ich das. Ziehen Sie gefälligst selbst Ihre Schluszforderungen aus dem eben gesagten, was weisz ich, kann man sicher irgendwie was kreieren, Geld mit machen, Intelligent Food oder Brain Food oder Aphrodisiaka-Wurst, wo die Leute doch angeblich heute nur noch reden davon, Sie wissen schon wovon, es nicht mehr tun.

Alles klar, danke für Ihre Aufmerksamkeit und Auf Wiedersehen!